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PUNX ON TOUR - VON FREIBURG NACH DAKAR

Das große weiße Gebiet auf der Landkarte des Punks ist ironischer weise ausgerechnet der so genannte schwarze Kontinent: Afrika!
Schon lange bin ich auf der Suche nach prickelnden Punksongs aus den pulsierenden Metropolen Afrikas. Doch leider herrscht tote Hose bzw. der HipHop. Während Rock, Metal und vor allem Punk in Afrika nahezu keine Heimat finden, dröhnt scheinbar bis in die letzte Buschbar der Beat des HipHop. Ja liebe Freunde, Punk und HipHop... das ist doch wie Teufel und Weihwasser.
Nichtsdestotrotz war ich Feuer und Flamme, als mir mein Bruder Anfang des Jahres vorschlug sein Auto in den Senegal zu überführen. Nico hat nicht nur eine zeit lang im Senegal gelebt, sondern ist als permanenter Handelsreisender in allen Ecken Afrikas unterwegs. Seinen Opel wollte er nun überführen, um dem Bruder seines senegalesischen Freundes Antonain einen Gefallen zu tun. Der arbeitslose Bruder hatte den Plan die Karre zum lukrativen Taxiunternehmen umzufunktionieren. Gelb war der Opel immerhin schon. Allerdings entsprach das Baujahr nicht den gesetzlichen Richtlinien des Landes. Seit wenigen Jahren ist es nur noch erlaubt Autos mit einer Laufzeit von maximal 5 Jahren ins Land zu importieren. Eine Maßnahme um die Flut an Schrottkarren zu bremsen, die sich von Europa in den Senegal ergießt. Dass sich vor Ort jedoch nur die wenigsten Menschen ein 5 Jahre altes Auto leisten können, ist der gesetzgebenden Kraft dabei wahrscheinlich entfallen. Um die Schikanen des Staates zu umgehen sollte das Auto also über die grüne Grenze nach Gambia gebracht und anschließend von irgendwelchen Schmugglern nach Dakar überführt werden. Klingt abenteuerlich... ist es bestimmt auch. Und so wurden die Reisevorbereitungen in Angriff genommen: Visum für Mauretanien organisieren, Auslandskrankenversicherung besorgen und Rückflug buchen. Soweit so einfach!
Doch just ein paar Wochen vor Abfahrt meldete sich Antonain und verkündete, dass die Schmuggler wohl etwas zu viel Geld für ihre Dienste verlangen würden und dass das Auto als 3-Türer ohnehin nicht als Taxi zugelassen würde. Au man! Wir waren natürlich hell auf begeistert ob dieser großartigen Nachrichten. Der Urlaub war eingereicht, die Flüge gebucht und das Visum beantragt. Die Lösung kam schneller auf den Tisch als eine Portion Mama Miracoli: Anderes Auto besorgen und dann in Mauretanien verkaufen! Die Mafiamethoden ließen wir dennoch stecken. So bemühten wir statt Brecheisen und Autodiebstahl lieber Internet-Suchportale zum Gebrauchtwagenhandel. Parallel versuchte ich bei diversen Autohändlern im Freiburger Umland Fachkenntnis vorzutäuschen. Mit kritischem Blick unter diverse Motorhauben und Gerüttel am Fahrwerk sorgte ich lediglich für müdes Gelächel. Schnell wurde mir klar: Gebrauchtwagenhandel ist fest in den Händen von dubiosen Profis. Zum Glück hatte mein Bruder den richtigen Riecher und die richtigen Freunde. Bestückt mit zwei türkischen Kollegen kreuzte er in der bayrischen Provinzidylle auf und ließ sich einen Renault 21 vorstellen. Kostenpunkt: 1400 Euro. Die türkischen Verhandlungsprofis überprüften den Kilometerstand (95.000), den Motor und das Getriebe und stießen hervor: ‘Unser Preis - 700 Euro’. Zwei Tage später ballerte ich mit einem tiptop Renault 21 für 900 Euro in Richtung Freiburg. Der bayrische Opa, dem diese Rennschüssel ursprünglich gehörte, würde im Grabe rotieren, wüsste er, dass ausgerechnet ein oberschlauer Punker seine heilige Mühle nach AFRIKA bringen möchte. Schon auf den ersten 100 Kilometern schloss ich das 17 Jahre alte Gefährt ins Herz. Ein spritziger Turbodiesel, vom Opa liebevoll gepflegt und von verschwendungssüchtigen Franzosen mit Komfort der Extraklasse ausgerüstet. Gleich am nächsten Tag gab’s noch einen Ölwechsel, einen kurzen ‘allround check’ und die unvermeidliche “Landratsamt Export-Kennzeichen- Auslandsversicherungs-Tour, die den Wert des Wagen auf 1200 Euro ansteigen ließ. Das Lidl-Autoradio für 70 Euro war da noch eine vergleichsweise kleine Investition. Im Angesicht von etwa 6000 Kilometer Strecke, war das schicke Ding natürlich sofort gekauft und installiert. 1-2-3 und Action hieß es dann am 10. August, als Julia und ich in Richtung Frankreich donnerten. Tschüss Deutschland, Tschüss Regen, Tschüss Vorweihnachtszeit im August.
Aber Frankreich im August, dass hatten wir fast vergessen, ist natürlich auch kein Zuckerschlecken. Halb Europa scheint die Badehose eingepackt zu haben, um bei Rotwein und Baguette zu Leben wie ein Gott in... Wir stocherten also genervt von Wohnmobilen und Campern über die Landstraßen und versuchten Staus zu vermeiden. Das war natürlich nicht so einfach. Die Situation verschärfte sich dann allerdings erst so richtig in Spanien. Aus unserem Ziel so schnell wie möglich ans Meer zu gelangen wurde dank einer Vollsperrung der Autobahn bei Figures nichts. So verbrachten wir erstmal zwei Nächte auf schmierigen Raststätten, zusammengerollt im Bauch unseres Autos. Hier entpuppte sich ‘René’ (so der liebevolle Name für unser Gefährt) als wirklich geniales Auto. Der Renault 21 überzeugt nämlich nicht nur durch ein schnittiges Fließheck und sportlichen Chic, nein auch die Rückbank lässt sich kinderleicht umklappen und in Kombination mit einem entrümpelten Kofferraum, in ein mehr oder minder bequemes Bettchen umwandeln. Als Sparfüchse verzichteten wir dabei natürlich auf den Komfort von Isomatten oder ähnlichem. Das sollte sich für die nächsten Wochen nicht ändern. Die krachenden Knochen puzzelten wir also einfach morgens zusammen und waren immer wieder verzückt, wenn wir uns allmorgendlich in die bequemen Sessel des Autos fallen lassen konnten.
Als Basislager in Spanien war das Naturschutzgebiet Cabo de Gata östlich von Almeria auserkoren worden. Ein wirklich herrliches Fleckchen Land, welches wir schon im letzten Oktober erkundet hatten. Traumhafte Strände, kleine Buchten und kaum nennenswerte Ortschaften. So sah es zumindest im Oktober aus. Aber: Alarm Alarm Alarm. Es war ja August, der Wonnemonat für Touristen. Dementsprechend schlugen wir uns den Plan am Strand zu übernachten ziemlich schnell aus dem Kopf. Lungerten wir letztes Jahr noch mit einer handvoll Touristen am abgelegenen Strand Mosul herum, so war es nun schon ein schwieriges Unterfangen überhaupt einen Parkplatz zu finden. Hunderte von Spaniern stapelten sich am Strand und veranstalteten ein derartiges Spektakel, dass wir desillusioniert umkehrten, um uns in der Nähe einen Campingplatz zu suchen. Trotz unseres Mini-Wigwams von 2x2 Metern war das schwerer als erwartet. Und vor allem teurer! Nach ein paar heiteren Stunden im Meer, hatten wir auch hier genug gesehen. Vor allem von den jungen Spaniern, die hier Urlaub machen. Alle laufen rum, wie halbe Punks und Bauwagenbewohner und kiffen sich von morgens bis abends einen Joint am nächsten in die Lungen. Dieser Alternative-Chic geht mir total auf den Geist, vor allem, wenn man diese Affen abends, um ihren Grill hocken sieht, auf dem sie ihre dicke Steaks braten. Zu oft waren wir auf unserer Reise schon an Tierquäler-Anlagen und Abschlachtbetrieben vorbei gefahren, als dass wir noch Bock darauf gehabt hätten, pseudoalternative Spacken beim Fleischfressen zu beobachten.
Also weiter entlang der Costa del Sol, der ekelhaftesten Ecke Spaniens. Hier wurde eine miese Hotelburg an die nächste gebaut, um auch dem letzten Proll das Gefühl zu geben, an der Schickeria von Marbella schnuppern zu können. Natürlich gibt’s das Paradies der Reichen und Schönen auch noch irgendwo, doch dazwischen regiert die übliche Urlaubstristess. Klar, dass man dann im örtlichen Lidl (!!!) auch auf Horden von rotgebrannten Ostdeutschen treffen muss, die hier lauthals ihre Kinder zur Minna machen. Nix wie weiter!
Nach einer weiteren Nacht im Auto machten wir uns früh morgens auf, um uns in Algeciras nach den Fährverbindung nach Marokko zu erkundigen. Die erste Reiseagentur entließ uns desillusioniert auf die Straße: 180 Euro für eine Überfahrt, die gerade mal 40 Minuten dauert? Geht’s noch? Um so baffer waren wir, als uns der nächste Vermittler den selben Trip für 37 Euro anbot. Als ordentlicher Deutscher glaubt man hier natürlich sofort an Nepp und Schwindel... kann aber auch den Schnäppcheninstink nicht unterdrücken und schlägt zu! Und tatsächlich... kein Betrug, kein alter Kahn und auch keine Zusatzklausel... 2 Personen und René bezahlten für die Überfahrt 37 Euro. Wir jubelten und sahen gespannt dem Kontinent Afrika entgegen. Doch erstmal landeten wir in der spanischen Enklave Ceuta. Dem ein oder anderen dürfte dieses Fleckchen Erde bekannt sein, schließlich spielen sich in dessen Umgebung diverse Flüchtlingsdramen ab und immer wieder rückt dieser europäische Außenposten ins Lichte der Öffentlichkeit. Seit 1580 hat hier Spanien ein kleines Koloniechen am Laufen und schirmt es nach europäischer Manier von den Afrikanern ab. Ich hatte eigentlich nur einen militärischen Posten und einige dubiose Geheimdienstler erwartet. Ceuta ist aber tatsächlich ein bewohnter Ort mit Supermärken und all dem Quatsch. Umgeben natürlich von einer Abschottungsanlage, die den eisernen Vorhang, wie einen windschiefen Kuhzaun erscheinen lässt. Meterhohe Mauern, Natodraht, Bewegungsmelder, Flutlicht und haufenweise Einsatztruppen. Das verdammte, gelobte Land zeigt hier schon deutlich die Zähne: Europe - no entry!!
Aber auch der Grenzübertritt in die andere Richtung sollte nicht ganz reibungslos verlaufen. Es herrschte vor Ort nämlich heiteres Chaos. Eine Vielzahl an hilfsbereiten Kerlen lungerte um unser Auto herum und es war schwer auszumachen, welchem Halunken wir hier wirklich Vertrauen schenken sollten. Permanent wedelte man uns mit irgendwelchen Ausweischen vor der Schnauze rum und erklärte uns auf deutsch, spanisch, französisch und englisch, dass man hier als Tourist-Guide angestellt sei. Aufgeschreckt durch unseren miesen Reiseführer (Marcopolo-Reiseführer kann man getrost an die Schweine verfüttern)... witterten wir überall Betrug und Abzocke. So lamentierte ich mich unstet von Polizeikontrolle zu Grenzbüro und wieder zurück. Wo sind die Papier? Auf wen ist das Auto zugelassen? Wie, du hast keine Vollmacht deines Bruders? Wo zur Hölle ist die Auslands-KFZ-Versicherung? Ja wo zur Hölle ist die KFZ-Versicherung? Wo zur verdammten Hölle? DAS GRÜNE PAPIER? DAS GRÜNE PAPIER?
Von dem verschissenen, grünen Papier hatte ich noch nie etwas gehört. Deswegen war ein Obulus von 57 Euro nötig, um eine schicke marokkanische Autoversicherung zu erwerben. Kaum hatte ich das Papier in der Hand wurde ich mit Vorzug behandelt und von den Cops durchgewunken. Uff, geschafft, die erste Grenze hatten wir hinter uns gebracht. Und außer Nerven, 57 Euro und 1,5 Stunden hatten wir nichts zurücklassen müssen. Als wir dann allerdings 3 Tage später das GRÜNE PAPIER doch noch im Handschuhfach ausfindig machen konnten, wollten wir uns am liebsten selbst die Fresse polieren. Neben 57 Euro hätten wir uns eine ganze Menge an Trouble sparen können. Tja, man lernt nie aus.
In Marokko lernte ich auch sehr schnell. Zum Beispiel für was der Big Boss König Mohamed IV seine Moneten raushaut: Bullen und Nationalflaggen. Das ganze Land ist gepflastert mit Polizeisperren und Fahnenmasten. An jeder Straßenecke baumelt der Nationallappen und in jedem noch so schmierigen Cafe grinst ein Portrait des Monarchen in die Düsternis.
Uns war aber überhaupt nicht nach Düsternis, sondern nach Sonnenschein und Mittelmeer. Deswegen fuhren wir noch ein paar Kilometer und steuerten den erstbesten Campingplatz in Martil an. Martil ist eines dieser Käffer, die nur für den Sommer existieren. Der Strand platzt aus allen Nähten, die Hotels sind voll und der einzige Campingplatz restlos überfüllt. Allerdings tummeln sich hier keine Niederländer am Strand, sondern so gut wie ausschließlich Marokkaner. Darunter natürlich viele Immigranten, die den Heimaturlaub dazu nutzen, um im schicken Mercedes vorzufahren und den Zurückgebliebenen den dicken Max vorzugaukeln. Dass sie in Amsterdam, Paris oder Madrid jedoch die letzten Lichter in der Leistungsgesellschaft sind, denen dazu auch noch mit Rassismus und offener Feindschaft begegnet wird, erlaubt sich hier niemand zu zeigen. Das ganze Jahr werden die letzten Groschen zusammen gehalten, um im Urlaub ein anderes Bild seiner Existenz zu präsentieren. Ein trauriges Spiel, welche im immer gleichen Teufelskreis endet. Noch mehr Glücksritter machen sich auf nach Europa, um dort das leichte Geld zu finden.
Das leichte Geld lässt sich in Marokko übrigens auch leicht wieder verlieren, denn passend zum Sommergeschäft werden die Preise angezogen. Für uns Mitteleuropäer bleibt Marokko dennoch unglaublich günstig, vor allem wenn man dazu gewillt ist, seine Nächte auf einem Campingplatz zu verbringen. Campingurlaub bedeutet in Marokko Familienurlaub und Rückbesinnung auf die Nomadenkultur. Verwundert klemmten wir unser Zweimannzelt zwischen riesige Zeltburgen, in denen Großfamilien wie die Beduinen regierten und Nachts rauschende Feste gefeierten wurden.
Neben wirklich interessanten Einblicken in die Gepflogenheiten der Marokkaner boten die Campingplätze also einige schlaflose Nächte (Ghettoblaster mit traditionellem Geschrammel) und vor allem Abenteuer ganz anderer Natur. Heimscheißern sei prophylaktisch angeraten von einer Reise nach Marokko abzusehen, denn so manche Sanitäranlage ließe selbst einem noch so hart gesottenen Siffnick einen eisigen Schauer über den grindigen Rücken laufen. Man stelle sich nur einmal vor, wie ein Plumpsklo ohne Wasseranschluss müffelt und aussieht, in welchem ein vollbesetzte Campingplatz seine Notdurft verrichtet. Kein Wunder, dass sich diverse Männer in einem Meter Abstand vor das Scheißhaus postierten, um ziellos und im hohen Bogen in den düsteren Verschlag zu pissen. Wenn dann diese, von Scheiße durchsetzte, Brühe langsam aber sicher in die unbeleuchteten Gemeinschaftsduschen fließt, ist die Schmerzgrenze auch für mich erreicht.
Abgesehen von diesen herben Düften bietet Marokko zum Glück auch erfreuliche Reize für das Riechorgan. Pralle Früchte, aromatische Tees, Zuckergebäck, kleine und große Küchen und natürlich der schwere Nebel des Haschisch. Ich plaudere vermutlich keine Geheimnis aus, wenn ich euch davon berichte, dass Marokkos Exportschlager das berauschende Cannabis-Kraut ist. Dementsprechend pilgern diverse Hippies und Kiffer ins Riffgebirge, um sich hier mit dem Stoff zu versorgen. So zum Beispiel im malerischen Örtchen Chefchouen, wo ein gemütlicher Campingplatz und diverse Dealer zum verweilen einladen. Meine Welt ist der paralysierende Rausch jedoch nicht und wenn ich bedröhnte Dreadlock-Idioten mit ihrem Morgenjoint erblicke, bekomme ich das kalte Kotzen. Die Reise führte also lieber weiter über Meknés nach Marrakech, wo wir ewige Zeit damit zubrachten nach einem nicht mehr existenten städtischen Campingplatz zu forschen. Wir nahmen's gelassen und verbrachten schöne Stunden in den engen Gassen der Medina und auf dem weltberühmten Platz Jemaa el Fnaa. Der Platz ist Treffpunkt für Gaukler, Scharlatane, Verrückte, Hohepriester, Quacksalber,Tierquäler – und natürlich Touristen. Ein heilloses Spektakel und eine gewaltige Priese 1000 und eine Nacht, die einem hier geboten wird. Kein Wunder, dass der Platz und seine Akteure zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Auch wenn die Touristendichte in Marrakech besonders hoch ist, sich die Stadt für das internationale Publikum aufgeputzt hat und an jeder Ecke ein „netter Verkäufer“ auf dich wartet, übt Marrakech eine Faszination aus. Obwohl in der Medina und den Souks, den alten, schmalen Gassen der Altstadt keine gastfreundliche Ruhe wie etwa in Tétouan herrscht, lässt sich auch hier viel Interessantes und Spannendes erleben und entdecken. Wer seine Ruhe haben möchte, der hefte sich einfach an eine möglichst große Gruppe von speckbäuchigen Touristen, welche die Aufmerksamkeit von Verkäufern, Guides und Halunken schon auf sich ziehen wird. Im Windschatten der Truppe lässt sich dann in aller Ruhe alles betrachten und beäugen... auch wenn man dann plötzlich irgendwo in einer Ecke dieses Gassenlabyrinths landet und man beim besten Willen nicht mehr weiß, wie man wieder heraus finden wird. Irgendwie hat's geklappt und ein paar Stunden später gabelten wir meine Bruder Nico auf, der mit einem dieser Billigbomber direkt nach Marrakech durchgestartet war. Und auch wir konnten jetzt richtig durchstarten: SÜDEN!
Wir fraßen Kilometer wie die Blöden, reizten die Grenzen von René aus und schafften es dennoch nicht einmal bis in die West-Sahara. Tan-Tan-Plage hieß der trostlose Posten, in dem wir unsere Nacht verbrachten. Ein gottverlassener Streifen Strand mit verdutzten Einwohnern und apokalyptischem und stürmischem Wetter. Der nächste Tag brachte nicht nur prallen Sonnenschein, sondern auch weitere Kilometer. Wir knallten durch die unbeschreibliche schöne Landschaft vorbei an Bergen, Steilküste und Sanddünen. Aber auch trostlose Dörfchen und bettelarme Zeltverschläge lagen am Wegesrand. Die Westsahara ist seit dem Abzug der spanischen Kolonialmacht von Marokko besetzt und von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario weitestgehend befreit. Die ursprünglichen Einwohner siedeln heute vorwiegend in Algerien, wo sie vor den Schergen des marokkanischen Militärs in Sicherheit sind. Um ein Aufflammen des Konflikts zu unterbinden und die eigenen Interessen (vor allem am Erdöl) zu wahren, betreibt Marokko eine schleichende Siedlungspolitik, die wohl dazu dienen soll, um ein mögliches Unabhängigkeitsreferendum zu kippen. Daher wurden über die letzten Jahre viele staatstreue marokkanische Araber in diese unwirtliche Gegend verfrachte. Zusammen mit Unmengen von Militär fristet man nun sein Leben in irgendwelchen verschissenen Außenposten. Und da man nichts anderes zu tun hat ist die Polizeischikane im Süden Marokkos besonders deutlich zu spüren. Sage und schreibe 20 Polizeikontrollen mussten wir bei unserem zweitägigen Trip von Marrakech bis zu Grenze über uns ergehen lassen. Hier lässt man das A.C.A.B. T-Shirt lieber zu Hause und schäkert stattdessen ausgelassen mit den Bullen herum. Immer recht freundlich und mit einem flotten Spruch auf den Lippen wird dann unzählige male die selbe Leier vom Stapel gelassen: Name, Ziel der Reise und Beruf...
Bei den Bullen kam natürlich gar nicht gut an, wenn Julia auf dem Beifahrersitz oder gar am Steuer saß. Der Platz für Frauen ist bekanntlich auf der Rückbank oder im Kofferraum. Zum Glück konnte Nico die runzlige Stirn so manches Ordnungshüters durch flotte Sprüche und ergebenes Gewäsch glätten. Gut kam zum Beispiel an: „Sie ist die Verlobte meines Bruder – inshallah heiraten sie bald!“ Worauf die Cops wie im Chor blökten „INSHALLA, so Gott will!“ und uns weiter winkten. Wir ließen es uns nicht einmal nehmen einen trampenden Bullen ins Auto einzuladen, nur um am nächsten Kontrollpunkt eine gute Figur zu machen. Ein besonderes Highlight war ein Polizist der den Song „Brigadier Sabari“ von Alpha Blondie intonierte. Bei uns brach hektische Treiben aus, hatten wir doch den Song im Gepäck und erhofften uns eine Vorzugsbehandlung, falls der Song WUMS WUMS aus unseren Boxen dröhnen würde. Tatsächlich wurde die CD ausfindig gemacht und der Brigadier mit den schiefen Zähnen hing fortan mit Pipi in den Augen am Beifahrerfenster herum, säuselte beseelt den Text mit und zeigte immer wieder den erregierten Daumen. Das Lied erinnere ihn an seine „Fatima“ gestand er uns und beschleunigte das übliche Prozedere. Nur eine der vielen Gelegenheiten bei denen ich mich fühlte als hätte ich meine Seele verkauft. Aber was soll's... wir hatten es dafür in zwei Tagen zu Grenze geschafft. Dort erwartete uns ein zwar neue - aber dennoch irgendwie abgeranzte - Herberge, in der Julia als einzige Frau natürlich angeglotzt wurde, wie zwei Tage Regenwetter. Irgendwann richteten sich die Blicke der Fernfahrer und Autoschieber dann doch wieder auf die Glotze, wo der Oberbauer Ralf Möller als Bösewicht in einem einem D-Klasse Filmchen austeilen durfte. “Gewalt ist doch irgendwie ein Beitrag zur so genannten Völkerverständigung” schoss es mir durch den Kopf.
Wir gingen den Grenzübertritt nach Mauretanien bereits um 8 Uhr 30 an, hatten aber nicht mit der Engelsgeduld der Grenzbeamten gerechnet. Obwohl wir alle Papiere, nichts zu verzollen und auch nichts zu verbergen hatten, schmorten wir stundenlang in der Hitze und hatten uns den verschiedentlich ausgerufenen Kommandos der Grenzstreifen zu beugen. Dass es dabei zu reichlich Missverständnissen und Komplikationen kam ist darauf zurück zu führen, dass sowohl Polizei-, Militär- als auch Zollbeamte am Start waren und sich nicht einmal die Kommandoführenden wirklich sicher waren, wer hier wo in wessen Hierarchie am höchsten steht. Nico, der sich in den ausufernden Schlangen der Papierbestemplungs-Büros anstellte hatte sich innerhalb kürzester Zeit einen beachtlichen Sonnenbrand und miese Laune eingefangen. Die Zollkontrolle hingegen war eine Sache von 30 Sekunden. Zielsicher fummelte der Beamte an einem kleinen Täschchen rum und bekam einen hochroten Kopf und nervöse Zuckungen, als er darin Kondome fand. Schnell wurden wir weiter gewunken und so hob sich die Schranke und wir wurde entlassen ins Niemandsland. Zwischen Mauretanien und Marokko erstreckt sich nämlich eine Sperrzone, für welche sich keine der beiden Parteien zuständig fühlt. Deswegen ist dort weder eine geteerte Straße noch irgendwelche Hinweisschilder zu finden. Dabei wären diese Hinweisschilder bitter nötig, befindet man sich doch hier auf einem mit Minen verseuchten Gebiet. Ein wirklich mulmiges Gefühl zwischen den Überresten explodierter Autos hindurch zu schlingern und dann auch noch aussteigen zu müssen, wenn die Karre im tiefen Sand versackt. In diesem schmalen Streifen zwischen den zwei Grenzen treibt sich entsprechend der rechtlosen Gesamtsituation allerlei Gesindel herum, welches hier diverses Schmuggelgut an- und verkauft. Wir sahen zu, dass wir uns nicht aufhalten ließen und steuerten auf den Grenzposten von Mauretanien zu: zwei Bretterbuden! Trotz oder gerade wegen dieser schwachen Infrastruktur verbrachten wir hier weitere zwei Stunden. Die Grenzbeamten ließen sich nämlich zwischenzeitlich von ihrem Sklaven (ein etwa 10 jähriger Junge) ihr Essen servieren und verlangten von uns obendrein noch ein “cadeau” - also ein Geschenk in Form von Scheinchen. Ohne eine Bestechungsbetrag von immerhin 10 Euro war einfach nichts zu machen. Wir dachten uns, dass wir den Sack clever austricksen und einfach eine Quittung verlangen, doch wurden wir nicht von Erfolg gekrönt. Den Beleg für eine offizielle Bestechung konnten wir entgegen nehmen und endlich in die Islamic Republic of Mauretania aufbrechen. Wie schön, dass wir immerhin ein paar Flaschen Schnaps und Wein geschmuggelt hatten. Ganz besonders heiße Ware im gelobten Lande Allahs! Bis wir allerdings einen wohlverdienten Schluck zu uns nehmen sollten, vergingen noch so einige Kilometer.
Zwischen der Nord- und der Südgrenze Mauretaniens liegt die Sahara. Mauretanien besteht also insgesamt aus nicht viel mehr als Sand, Sand und noch mehr Sand. Lediglich ein einziger permanent wasserführender Fluss wird zum Mauretanien gezählt: der Grenzfluss Senegal. Von der Grenze aus fuhren wir auf der neuen Straße zwischen Nouadhibou und Nouakchott in Richtung Hauptstadt. Vorbei ging es an wunderschönen Wüstenlandschaften, vereinzelten Nomadenzelten und einer handvoll kleiner Siedlungen. Die unwirkliche Weite der Wüste die anmutigen Wellen der Sanddünen, der weite Himmel und das gleißende Licht sind wirklich überwältigen. Schönheit und Trostlosigkeit liegen jedoch dicht beieinander. In Mauretanien wachsen kaum Pflanzen (nur 0,2% der Fläche gelten als Agrarnutzfläche), Bodenschätze sind eher rar und lediglich durch den Fischfang lässt sich ein wenig Geld verdienen. Mauretanien zählt daher zu den ärmsten Ländern der Welt. Und das sieht man auch!
Zwischen Nouadhibou und Nouakchott ereilte uns dann noch eine kleine Reifenpanne. Plötzlich schlingerte unser Gefährt seltsam und mit einem “Peng” war’s dann auch vorüber. Souverän meisterten wir die Lage, mussten allerdings gewaltig schwitzen, als wir bei 45 Grad Hitze über dem glühenden Asphalt die eingerosteten Radmuttern lösen wollten. Derart gestärkt eilten wir nur wenige Kilometer weiter einem gestrandeten Buschtaxi zur Hilfe, dessen 8 Insassen besorgt um das Auto herumstanden. Mit aufgerissenen Augen, schüchternem Lächeln und freundlichen Worten wurde unsere Hilfe - in Form eines Wagenhebers - angenommen. “Trés gentil Monsieur Toubab!” - “Sehr Freundlich Herr Weißer” tönte es von allen Seiten.
Die Hauptstadt Nouakchott erreichten wir in der frühen Abenddämmerung und obwohl ich schon in so mancher Ecke dieser Welt unterwegs war, fuhr ich hier schweigend und bedrückt in diese grenzenlose Traurigkeit hinein. Nach meine Erfahrungen in Lateinamerika und Asien hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass mich der so genannte “Kulturschock” noch einmal derart heftig packen könnte. Doch Nouakchott ist an Perspektivlosigkeit wohl kaum zu überbieten. Die Stadt taucht plötzlich aus dem Nichts der Wüste auf. Sie kündigt sich an durch Unmengen an verwesendem Müll, der durch die Weite geweht wird. Dann säumen plötzlich Barraken, Zelte und Lehmbauten die Straße, dazwischen lungern einige Menschen herum, die gelangweilt ihre ausgemergelten Ziegen bewachen. Und dann bist du eigentlich schon mitten drin, in dieser Stadt ohne Straßenbeleuchtung und ohne Straßen, denn hier regiert der Sand. Lediglich einige wichtige Straßen sind asphaltiert und zeichnen sich zudem durch vereinzelte Ampeln (sehr sehr selten) aus. Auch markante Gebäude sind eher selten, weshalb man durch Nouakchott hindurch fährt und kaum unterscheiden kann, was hier Zentrum und Peripherie ist. Ein richtiges Stadtzentrum ist ohnehin nicht auszumachen. Ein ranziger, relativ kleiner Markt gilt zwar als Dreh- und Angelpunkt der Stadt, kann jedoch dank der total zugemüllten Umgebung und den verrotteten Gebäuden nicht wirklich als “City” herhalten. Dadurch dass Mauretanien so gut wie keine Industrie hat wird hier alles importiert und natürlich zu dementsprechenden Preisen angeboten. Selbst Grundnahrungsmittel sind teuer und wer nach ein bisschen Luxus verlangt, der sollte sich auf Preise gefasst machen, die selbst die Schweiz nicht zu bieten hat. Für die reiche Oberschicht steht in vereinzelten Supermärkten alles parat. Von Nutella bis Marlboro von Lindt-Schokolade bis Hochland-Käse. Für eine Tafel Schokolade wird dann aber auch ein Preis von umgerechnet 6 Euro verlangt.
Auch die erste Nacht in Nouakchott sollte uns die krassen Preise deutlich vor Augen führen. Auf Einladung eines Geschäftsfreundes von Nico kamen wir in einem kleinen Hotel unter. Eine eher mittelprächtige Bude mit Kakerlaken, dröhnender Klimaanlage, brettharten Betten und verrammelten Fenstern. Die Nacht kostete dort dennoch 50 Euro und als uns die Rechnung für eine Flasche Wasser, zwei kleine Dosen Bier und ein Glas Wein serviert wurde, schlackerten uns erneut die Ohren: 21 Euro! Das teuerste Bier meines Lebens. Aber im direkten Vergleich zur Umgebung und zum Lebensstandart in Mauretanien befanden wir uns eben schon in der Luxusklasse, auch wenn diese nie und nimmer irgendetwas mit europäischen Standards zu tun hatte.
Am nächsten Tag zogen wir um in das Privathaus von José, einem spanischen Entwicklungshelfers, den mein Bruder von seinen verschiedenen Aufenthalten in Mauretanien kannte. Obwohl José ein zuvorkommender und netter Gastgeber war, lernte ich hier den Hass auf die europäische Entwicklungshilfe, die mir ohnehin schon immer missfiel. Hier bekam ich anschaulich vorgeführt, wie Europa sich in Form der so genannten “Entwicklungshelfer” in Afrika gebärdet: Haushälter, Masseurin, Putzfrau, 5 mondäne Zimmer, ein ausgewählter Weinkeller, alle erdenklichen Spirituosen, gekühltes Bier, Musik vom Ipod, Kunstwerke der Einheimischen, Haschisch, Geländewagen und schicke Klamotten. Zudem organisiert die spanische Botschaft einmal pro Monat einen Container, der mit Produkten aus der Heimat angefüllt wird, damit die Entwicklungshelfer nicht auf ihren europäischen Standard verzichten müssen.
Und was tut dann die Entwicklungshilfe? Sie versucht die Mauretanier davon zu überzeugen, dass sich eine Auswanderung nach Europa nicht lohnt und dass irgendwann auch Mauretanien am oberen Ende des Reichtums angelangt sein wird! Tourismusförderung, Demokratie-Kurs und Schulenbau sollen dafür sorgen, dass die halb verhungerte Bevölkerung ihre Zukunft in diesem perspektivlosen Land ausmacht! Und die Millionen Euro, die so im Land versickern werden natürlich von der EU auch nicht ganz umsonst hergegeben. Im Tausch gibt es Verträge, die gewährleisten, dass die europäische Fangflotte vor der Küste Afrikas weiterhin auf Raubzug gehen können und so zur gnadenlosen Überfischung beitragen. Also liebe Schlemmer-Filett-Punks und Iglu-Kids macht euch mal Gedanken wo eure Nahrung eigentlich herkommt. In Mauretanien sind die Auswirkungen des europäischen Hungers nach Frischfisch bereits deutlich zu spüren. Das Meer ist leer und die Fischer nagen am Hungertuch und greifen nach jedem Strohhalm. Also warum nicht seine lecke Pirogge an Menschenschlepper vermieten, die versuchen ein paar ausgehungerte Glücksritter auf die Kanarischen Inseln, ins gelobte Land, zu überführen? Und auf diesen ganzen Horror schauen die Entwicklungshelfer mit einer Pose des “Gutmenschen” herab, die schwer zu ertragen ist.
Dementsprechend schäbig kam ich mir daher zunächst auch vor, als wir in die harten Verhandlungen über den Autoverkauf einstiegen. Ich hatte keinerlei Lust als gieriger Geldsack den Mauretaniern ihre letzten Groschen aus dem Hemd zu leiern. Andererseits wollten wir unser Auto natürlich auch nicht mit Verlust verkaufen oder einem dubiosen Händler vermachen, der letztlich einen dicken Gewinn damit einfährt. Zum Glück fanden wir einen Privatkäufer mit dem wir uns auf den Preis von 2700 Euro einigen Konten (2 Tage wurde verhandelt, gescherzt, geredet, Geld gezählt und ein Notar gesucht). Mit dem Geld kamen wir - zumindest was die Hinreise nach Mauretanien betraf - auf Null raus; mehr wollten wir eigentlich auch nicht.
Mit einer Träne im Auge verabschiedeten wir uns von unserem treuen Auto und von Nouakchott. Weiter ging es in den Süden des Landes, wo uns der Geschäftsfreund von Nico auf seinen Landsitz einlud. Landsitz klingt jedoch hochtrabend, so waren es doch nur eine Ansammlung kleiner, roh gemauerter Zimmer und ein großes Zelt, welche uns in der südlichen Provinz erwarteten. In dieser Gegend zeigte sich Mauretanien allerdings auch erst von seiner wirklich armen Seite. Strom, Wasser, Schule? Alles Fremdworte. Und auch wir Weißen waren dort eine absolute Ausnahme. Auf unserem Weg zum Landsitz steuerten wir beispielsweise eine kleinen Ansiedlung an, wo unser Gastgeber ein paar Freunden ‘Hallo’ sagen wollte. Kaum gelangten wir über die Sandpiste in diese Siedlung rannte uns schon eine Horde an Kindern hinterher. Sie umringten unser Auto und standen mit offenem Mund am Fenster. Völlig entgeistert starrten sie die blonde Julia an und rätselten, warum ich solch komischen Haare habe und seltsame Muster auf der Haut trage. Als ich ihnen meine Hand reichte zogen sie sich erschreckt zurück und trauten sich auch nach langem hin und her nur kurz meine Haut zu berühren. Es war schön, erschütternd, aufwühlend und seltsam zugleich, auf Menschen zu treffen, die in ihrem Leben noch keinen Weißen gesehen hatten. Auch in einem “Kindergarten”, den wir besuchten, waren wir der absolute Hingucker. Wir hatten eine sehr freundliche und resolute Frau kennengelernt, die in dieser Einöde versucht den Kindern eine Perspektive zu bieten. Während die Eltern bei der Arbeit sind oder auf das Vieh aufpassen, betreut sie - zusammen mit ein paar freiwilligen Helferinnen - eine Gruppe von etwa 200 Kindern aller Altersschichten. Der Kindergarten war nicht viel mehr als ein auf Pfosten ruhendes Wellblech inmitten des Sandes. Keine Sanitären Anlagen, kein Strom, kein Spielzeug, kein Unterrichtsmaterial oder ähnliches. Größte Errungenschaft war ein simple Backsteinofen, der dazu dient den Kindern mittags jeweils eine Tasse Hirsebrühe aufzukochen. Für die Unterbringung der Kinder bezahlen die Eltern ein wöchentliches “Betreungsgeld” von jeweils 10 Cent. Trotz dieser erschreckenden Armut und der fehlenden Infrastruktur waren wir begeistert von der Initiative und vor allem von den total motivierten Frauen, die aus Eigeninitiative und ohne staatliche bzw. kirchliche Unterstützung handeln. Wir überließen den Frauen eine gute Summe Geld und versprachen zudem aus Deutschland aus für Unterstützung zu werben. Diese Hilfsaktion läuft langsam an und ist schon jetzt viel versprechend.
Am nächsten Tag ging es dann weiter in Richtung Senegal. In Rosso waren wir mit einem Freund verabredet, der meinem Bruder schon einmal beim Grenzübertritt behilflich war. Das Zoll- und Polizeichaos in Rosso ist nicht zu verachten. Grenzstädten hafte ja immer ein verkommener und krimineller Eindruck an - und da bildete Rosso keine Ausnahme: Eine schmierige Stadt am dreckig-braunen Senegal-Fluss in der es geradezu an dubiosen Gestalten wimmelte. Doch dank der Hilfe des (bezahlten) Fremdenführers verlief alles ziemlich glatt. Wir überquerten die Grenze ohne nur von einem einzigen Polizisten angeschaut worden zu sein. Die Überfahrt, die Zollpapier, das Gestempel und sogar die Verhandlungen über die Weiterfahrt in einem Taxi übernahm unser wortkarger aber freundlicher Helfer. Der Spaß kostete uns zwar 12 Euro, ersparte uns aber gleichzeitig stundenlanges Gequatsche mit Grenzbeamten, Bestechungsforderungen der Bullen und penible Zollkontrollen. Innerhalb einer Stunden hatten wir Mauretanien hinter uns gelassen und befanden uns in einem rumpelnden und völlig demolierten Taxi in Richtung St.Louis. Dank der Regenzeit empfing uns Senegal mit einem leuchtenden Grün - nach Tagen der grauen Wüste war dieser Eindruck geradezu überwältigend und begeisterte uns allesamt. Teiche, kräftige Bäume und grüne Wiesen säumten unseren Weg und dazwischen lagen immer wieder winzige Dörfchen mit traditionellen runden Holzhütten, die sofort das idealisierte Bild eines “afrikanischen Dorfes” wach rüttelten. Auch St.Louis selbst begeisterte uns mit seiner entspannten Ruhe, den verwitterten Kolonialbauten und der optimalen Lage zwischen Atlantik und dem Senegal Fluss. St.Louis ist als Reisedestination beliebt und bekannt, was allerdings nichts daran ändert, dass die Stadt in einem rapiden Verfall begriffen zu sein scheint. Nico, der schon häufig in St.Louis Station gemacht hatte, war geradezu schockiert von der immer schlimmer grassierenden Armut. Ganz besonders deutlich wurde uns dies an einem Strandspaziergang, der uns entlang eines armen Fischerviertels führte. Der eigentlich traumhafte Strand war übersät mit Fischköpfen, Tierkadavern und jeder Menge Müll. Dazwischen lagen die ursprünglich buntbemalten Fischerboote, bei denen der Lack abblätterte und die scheinbar schon lange nicht mehr zum Einsatz gekommen waren. Gefischt wird wohl nur noch von der europäischen Fangflotte, die wie zum höhnischer Spott, in sicherer Entfernung vor St.Louis ankerte. Den einheimischen Fischern hingegen bleiben die Rest, die wenigen Fische, die in den überfischten Meeren zurückgeblieben sind und die hier - nahe des Strandes - getrocknet werden. Ein wirklich deprimierendes Bild welches sich hier zeigt. Dazu köstlich untermalt vom Geruch der verwesenden Fischinnereien und dem Gestank der getrockneten Fische. Ja auch vor der Küste Senegals fischt die europäische Union im Tausch gegen Entwicklungshilfe und sonstige Projekte. Damit kreiert sie genau der Art von Menschen die sie eigentlich nicht haben möchte, nämlich genau die bettelarme Menschen, die ihren einzigen Auswege in einer Flucht nach Europa sehen und sich auf lecken Booten in Richtung Kanarische Inseln aufmachen. Die Flüchtlingsdramen sind bekannt: Unmengen an verzweifelten Afrikanern ertrinken auf ihrer Flucht oder werden - im gelobten Land angekommen - sofort wieder abgeschoben. Dass wir auch auf Menschen trafen, die ihre geflohenen Angehörigen verloren hatten, ist in St.Louis bestimmt keine Seltenheit. Ein wirklich ergreifendes und wutentzündendes Gefühl, wenn man dieser ganzen Tragödie plötzlich so nahe ist. Ich fühlte mich nur noch unwohl, in unserem Hotel, in dem Restaurant in dem wir aßen und auch in den Straßen durch die wir flanierten. Überall schrie mich die Ohnmacht und das Gefühl der Mit-Schuld an. Gegen Abend beruhigte ich mich etwas und konnte sogar wieder dreckig lachen, als wir in einer kleinen Bar eine hundsmiserable Trommelgruppe beäugten. Doch nicht die dreadlockigen Trommelspacken, sondern vor allem ihre europäisches Hippiegroupie sorgte für einiges Getuschel.
Am nächsten Tag ging es weiter zur letzten Etappe unserer Reise. Von Dakar trennten uns noch einige Kilometer, die wir in einem Taxi-Brousse, also einem Buschtaxi zurücklegten. Abermals war unser Fahrer überaus wortkarg, eigenwillig und stocksteif - eine seltsame Unsitte während einer mehrstündigen Fahrt keinerlei Gespräch zu führen und permanent der selben miesen CD zu lauschen. Wir betrachten also lieber die Landschaft und die vorbeiziehenden Städtchen. Ein kräftiger Regenschauer zog über’s Land und ließ die Natur noch grüner erscheinen, als sie ohnehin schon war. Richtig grau wurd’s dann allerdings in Dakar, wo wir direkt ins stockende Verkehrschaos hinein fuhren. Unglücklicherweise reihten wir uns direkt hinter ein Auto in die Schlange, auf dessen Dach ein riesiges Netz mit etwa 30 Hühnern festgeschnallt war. Die Viecher waren kurz vorm krepieren und sahen wirklich erbärmlich drein. Auch im Inneren der Karre schienen sich die Hühner zu stapeln, denn der Fahrer saß mit Gasmaske am Steuer. Mir wurde richtig schlecht. Aber dass ein Trip nach Afrika nicht unbedingt für Veganer, Vegetarier und Tierfreunde geeignet ist, hatte ich mir schon im Vorraus erahnt. Wir waren daher total von den Socken, als wir in Antonains Haus mit fleischloser Kost umsorgt wurden. Nach der Stärkung und einem erfrischenden Bierchen ging’s gleich ins umliegende Viertel Baobab, eine ruhige mittelständische Nachbarschaft, die nach dem zentralen Affenbortbaum (Baobab) benannt ist. Unterwegs schüttelten wir andauernd Hände und hielten kurze Schwätzchen, nicht nur weil wir als Weiße eine Ausnahme in dieser Gegend waren, sondern vor allem weil Antonain als Stürmer in der örtlichen Fußballmannschaften spielt und dementsprechend bekannt ist. Auf unserem kleinen Rundgang trafen wir nicht nur allerlei Menschen, sondern wurden auch Zeuge der sehr lebendigen und faszinierenden Tradition im Senegal. Obwohl das Land eigentlich muslimisch geprägt ist (94% der Bevölkerung) sind animistische Traditionen und Religionen durchaus vorhanden und werden trotz des Glaubens an Allah gepflegt. Bei unserem Spaziergang trafen wir zum Beispiel auf eine Gruppe von Männern, die vor dem Baobab-Baum Opfer niederlegten und dazu sangen. Immer wieder trafen wir auch auf so genannten “Beifall”, jugendliche Herumtreiber, die im Auftrag ihres regionalen Religionsführer Geld erbetteln. Obwohl diese - Marabout genannten - Führer als islamische Heilige gelten, mischt sich in ihnen animistischer und islamischer Glaube. Und natürlich auch das schnöde Interesse an Macht und Moneten, schließlich erwirtschaften die unzähligen Bettler, die für ihre Marabouts auf Tour gehen die ein oder andere Münze. Dementsprechend sind Marabouts und Beifall bei strenggläubigen Moslems und Christen als Scharlatane und Abzocker verrufen.
Traditionelle Rituale die in fast allen Familien vollzogen werden sind hingegen die Kopfrasur von Neugeborenen und die Beschneidung von männlichen Kindern Ob die Beschneidung von Mädchen trotz des seit 1999 herrschenden Verbots praktiziert wird entzieht sich meiner Kenntnis.
Am nächsten Tag ging es erstmals in die Innenstadt, wo wir natürlich sofort im Zentrum des Interesse standen. Unsere weiße Hautfarbe entpuppte uns als potentielle Käufer, auch wenn wir unzählige Male versicherten nichts aber auch gar nichts erwerben zu wollen. Besonders beängstigende Ausmaße nahmen diese “Verkaufsgespräche” an, als wir uns in das große und unübersichtliche Marktviertel begaben und ab nun permanent von fliegenden Händlern umschwärmt wurden. Entspannter ging es da in den etwas entfernteren Gebieten wie Baobab oder Petit Yoff zu, wo man eben nicht permanent belagert wird und dementsprechend relaxt durch die Straßen schlendern kann. Ebenfalls ‘Entspannung pur’ sollte ein Ausflug zur ehemaligen Sklaveninsel Goree bieten. Das winzige Eiland liegt wenige Kilometer vor Dakar und ist nur von wenigen Personen bewohnt. Aber natürlich ist es auch ein Ausflugsziel für Touristen und daher wurde man auch hier umschwärmt, belabert und mit Ramsch versorgt. Dennoch bietet das kleine Inselchen schöne Flecken, verwitterte Kolonialgebäude und einen bombastischen Blick auf Dakar. Nichtsdestotrotz waren mir die Besuche in den ‘normalen’ Vierteln, die außerhalb des touristischen Interesses liegen, wesentlich lieber. Hier kann man ungestört das Alltagsleben beobachten und vielleicht mit Menschen in Kontakt kommen, die eben nicht nur irgendwelche Armbändchen verscherbeln wollen. Besonderen Spaß machte es mit Antonain und seiner Tochter Caro-Luise durch die Straßen zu ziehen und in Gassen einzubiegen in die man sich alleine wohl nie gewagt hätte. Dakar ist riesig und bietet das pralle Leben - allerdings blieben uns wenige Tage ehe wir in ein Flugzeug nach Deutschland krabbeln sollten. Der Trip nach Afrika neigte sich seinem Ende entgegen, wurde aber zum Glück mit einer “Afrika pur”-Erfahrung beendet: dem Einchecken am Flughafen.
Von Dakar fliegen die meisten Maschinen mitten in der Nacht ab. Keine Ahnung was das bringen soll, genug Verkehr und Rummel herrscht ja schließlich trotzdem. Als wir uns dann 3 Stunden vor Abflug schon 50 Meter vor dem Flughafen in eine Schlange eingliedern sollten, verhieß das nichts Gutes. Auch die Menschen um uns herum waren schon angepisst und tierisch genervt. Direkt neben uns entbrannte ein handfester Streit zwischen zwei Senegalesen, der nur durch das beherzte Eingreifen von Umstehenden nicht eskalierte. Geschubse und Gedrängel inklusive den pampigen Reaktion von Verdrängten und Bedrückten gab es in den folgenden Stunden ohne Ende. Und in dieser riesigen Menschentraube, die sich im Schneckentempo auf eine einzige Tür zubewegte, eierten dann auch noch jede Menge zwielichtige Gestalten herum, die hier versuchten ihre gefälschten Banknoten an den Mann zu bringen. Die Situation wurde auch nicht gerade von den Temperatur begünstigt, welche um diese Uhrzeit immerhin noch bei etwa 35 Grad lag. Wir hatten natürlich kein Trinkwasser bei uns und zudem noch tonnenschweres Gepäck im Schlepptau. Nach etwa anderthalb Stunden erreichten wir den Eingang zum Flughafen und wurden von müde glotzenden Bullen nach unseren Flugpapieren gefragt. Bevor noch irgendwie lamentiert werden konnte gaben wir uns einen Ruck und drängelten uns durch diese Kontrolle. Dann standen wir eine weitere Stunde am Check-In an und gelangten zur Passkontrolle, als unser Flug offizielle hätte starten sollen. Eine dicke Afrikanerin schob mich mit ihren gigantischen Brüsten vor sich her und ehe ich mich versah hatten wir nach etwa 3 Stunden sowohl Check-In, die Passkontrolle, als auch die Zollabfertigung absolviert. Auf das so genannte ‘Bording’ warteten wir dann noch einmal 45 Minuten, bevor unser Flugzeug mit beachtlicher Verspätung in Richtung Deutschland abhob.
Das Abenteuer Afrika war damit abgeschlossen. Ein unglaublicher, beeindruckender, anstrengender, bewegender und faszinierender Trip lag hinter uns, auf dem ich zwar keine Punks getroffen, aber sehr viel gelernt habe. Afrika hat mich nachhaltig beeindruckt und die gesammelten Erfahreungen unterstreichen einmal mehr meine Ablehung der europäischer Gesellschaft und ihrer Politik. Denn nicht die Armut Afrikas ist ein Skandal, sondern der Reichtum und die Ignoranz Europas.


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