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EIN TAG IM SEPTEMBER - UNTERWEGS IN INDONESIEN


Irgendwie hatte mich diese ganze Lehrforschungsreise mehr mitgenommen, als ich mir das vorgestellt hatte. Seit fünf Wochen lungerte ich nun also schon in der Jalan Sosrowijajan in Yogyakarta herum. Mittlerweile gehörte ich hier schon fast zum Inventar und gemeinsam mit den Angestellten der Hotels und Bars, betrachtete ich gelangweilt die neu eingetroffenen Touristenhorden, die wohl schon in ein paar Tagen weiter ziehen würden. Von Strand und Dschungel konnte ich in meinem kleinen Zimmerchen nur träumen, denn die Großstadt mit all ihrem Abgas, Krach und Gestank war nun zu meinem Zuhause geworden. Und trotzdem gewöhnte ich mich immer noch nicht an die nahegelegene Moschee, die mich jeden Tag pünktlich um 4 Uhr 30 mit ihrem Geplärr aus den süssen Träumen riss. Die letzten Tage waren besonders anstrengend gewesen, denn da sich meine ethnologische Feldforschung mit ‘Genderkonstrukten in der Punk und Hardcore Szene’ beschäftigte, hatte ich mir zusammen mit meinen neugewonnen Freunden die eine oder andere Nacht um die Ohren geschlagen. Bei billigen Getränken erzählten wir uns stundenlang Geschichten, lachten uns über die ein oder andere Anekdote fast schlapp und krochen erst mühsam in unsere Betten, wenn die Ratten die Herrschaft über Yogyakartas Strassen übernommen hatten.
Doch nicht nur körperlich fühlte ich mich verbraucht, auch die vielen Geschichten, die mir meinen Freunden erzählt hatten, frustrierten mich zunehmend. Ich hatte gehofft auf viele Punks zu treffen, die den gesellschaftlichen Zwängen die eiskalte Schulter zeigen würden. Stattdessen musste ich immer öfter feststellen, wie sich vor allem die frauenfeindliche Struktur der indonesischen Gesellschaft auch in der sogenannten ‘counter culture’ wiederfinden liess. Die Vorgabe eine ‘wissenschaftliche’ Studie durchzuführen, verlangte mir aber ab, all diese Dinge, die ich hier beobachten konnte, nicht zu kommentieren, um nicht verändernd in die Szene einzugreifen, sondern um lediglich zu beschreiben und zu beobachten. Und je länger ich hier war, desto schwerer fiel es mir. Immer mehr Frauen aus der Szene hatten Vertrauen zu mir gefasst und berichteten mir in Gesprächen über all die Dinge die ihnen wiederfahren sind. Von Gewalt im Elternhaus, von sexuelle Belästigung selbst in der Punkszene, von religiösen und gesellschaftlichen Zwängen und der eklatanten Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Je mehr ich über die indonesische Gesellschaft erfuhr, desto weniger blieb von meinem idealisierten Bild - einem harmonischen Zusammenleben - übrig, welches ich mir durch Vorbereitungsseminare und die Lektüre diverser Bücher errichtet hatte. Und das bezog sich auch auf die Punkszene, die mir immer mehr vorkam, wie ein Haufen oberflächlicher Schwätzer, die all zu sehr in den gesellschaftlichen Normen verhaftet bleiben. Selbst wenn ich Punks von meinem Forschungsthema erzählt hatte, interessierte sich kaum einer für die Idee der Gleichheit der Geschlechter und Feminismus wurde all zu oft als ‘weibischer Kram’ verlacht. Einige Punks liessen es sich nicht mal nehmen in meiner Gegenwart Frauen hinterher zu johlen und prolligste Kommentare abzusondern. Ich war angewidert und hatte zunehmend Schwierigkeiten dies zu verbergen. Besonders bedrückte mich, dass die Frauen, die ich kennengelernt hatte in ihren Einstellungen wesentlich radikaler und emanzipatorischer waren, als der Rest der Punkszene. Und wie sollen diese Frauen, die der ekelhaften Gesellschaft zu entfliehen versuchen, sich in einer Punkszene wohlfühlen, in der ihre Bemühungen ein gleichberechtigtes Leben zu führen, weder auf Intresse noch Unterstütztung treffen?
Zum Glück besuchte mich nun aber Ari. Wie es so üblich ist hatte sein Zug aus Bandung satte zwei Stunden Verspätung und so konnte ich den Sänger und Bassist von Domestik Doktrin erst gegen 2 Uhr Nachts in Empfang nehmen. Ari ist nicht nur mit einem herrlichen Humor gesegnet, auch seine politischen Einstellungen und seine wunderbar offene Art, sorgten dafür, dass ich den Jungen gleich in mein Herz schloss. Keine Frage, dass wir den Rest der Nacht durchquatschten. Er war gekommen, um das RUSH IN PIECE Festival zu besuchen. 4. September, das Datum, auf das ich lange hingestrebt hatte, denn dies sollte das größte Punk/Hardcore Konzert während meiner Anwesenheit in Yogyakarta sein. Die immense Vorfreude schlug jedoch bald in schlechte Laune um, denn das Konzert entpuppte sich als Reinfall. Die wenigen guten Bands spielten vor kaum existentem Publikum, während die populären Punkkappellen abends vor pogenden Massen ihren Stumpfsinn in Form von lächerlichen Texten preis gaben.
Ari und ich hatten schnell die Schnauze voll und zogen es vor zurück in mein Losmen zu fahren, um dort erbittert darum zu streiten, wer auf dem Boden schlafen dürfe. Natürlich wollte jeder dem anderen den Gefallen tun, in dem durchgeleierten Bett zu übernachten! Wir redeten noch ewig über die Probleme der indonesischen Szene und eher frustriert als erheitert war ich eingeschlafen. “Was soll’s” dachte ich mir “morgen ist ja auch noch ein Tag.”
Wir waren schon früh aufgestanden, denn Ojie hatte versprochen uns bereits um 9 Uhr abzuholen, um uns zum ‘SEPTEMBER CERIA’ Festival zu bringen. Dies sollte nämlich Sonntag morgen ab 8 Uhr stattfinden. All zu viel erwartete ich mir also nicht davon, denn welcher echte Punk kriecht Sonntag früh aus dem Bett, um sich ein paar läppische Bands anzusehen.
Ojie kam die obligatorische Stunde zu spät, war dann aber frohen Mutes uns ans Ziel zu bringen. Wir fuhren in den äussersten Osten von Yogyakarta, die Malioboro herunter, vorbei am Sultanspalast und dann im Zickzack durch die Strassen der Stadt. Wir fuhren ewig und ich war froh, als wir den engen, stickigen Bus endlich verlassen konnten. Doch zu früh gefreut! Weiter ging es zu Fuss, vorbei an Sonntagsausflüglern, die mit primitiven Angeln versuchten Fische aus einem stinkigen Betonbassin zu fischen, vorbei an Jackfruit Verkäufern und vorbei an Reisfeldern. Wir latschten ungefähr eine halbe Stunde durch die ausgestorbene Gegend. Hier fuhren kaum noch Autos und Menschen waren weit und breit nicht zu sehen.
Doch dann bogen wir um eine Ecke und ich traute kaum meinen Augen, den im Vorhof einer Schule tummelten sich Horden von Punks! Die Nietenjacken blitzten in der Mittagssonne, die Iros standen Spalier, die Flaschen kreisten und aus der Ferne waren harte Rythmen zu vernehmen. Ich konnte es kaum fassen, denn in dieses seltsame Konzert hatte ich nicht wirklich viel Hoffnung gesetzt. Um so erstaunlicher, dass hier all die Leute anwesend waren, die ich in den letzten Wochen kennengelernt hatte. Aus allen Ecken kamen Leute heran geschossen, mit denen ich Interviews geführt hatte oder mit denen ich einfach nachts am Tuju Yogya herumgehangen war. Da die Bands aber schon begonnen hatten, konnte ich kaum abwarten einzutreten. Ich bezahlte also meinen Obulus (30 Cent) und schlängelte mich durch den Vorraum, in dem durchgeknallte Kids in unglaublichem Punkstyle herumsifften. Dass das Konzert in einer katholischen Grundschule stattfinden würde, hatte ich schon im Vorfeld erfahren, der Anblick, der sich mir bot, als ich eintratt, überraschte mich dennoch. Das grosse, flache Gebäude umschloss nämlich einen schönen Innenhof, in dem haufenweise Punks und Hardcore Kids herumlümmelten. Das Konzert ansich fand in einer kleinen Aula statt, die zur Hofseite geöffnet war. Und als ich näher tratt, fielen mir erneut die Augen aus dem Kopf, denn schon um diese frühe Uhrzeit wurde dort gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Eine Band von 16-jährigen Punks stand auf der Bühne und spielte Coverversionen von Sex Pistols und den Ramones. Es war kaum zu erkennen, wer der Sänger der Band war, denn permanent standen zwischen 5 und 10 Leuten auf der kleinen Bühne, schnappten sich abwechselnd die Mikros und schrien die Texte mit. Dannach stürtzten sich die Jungs ohne Rücksicht auf den eigenen Körper in die brodelnde Meute und klatschen nicht selten mit voller Wucht auf den Beton. Der Sound war mies, rudimentär aber einfach nur geil und je länger ich mich umschaute, desto begeisterter wurde ich. Da Frauen und Teenage in Indonesien nach Sonnenuntergang nicht mehr alleine auf die Strasse gehen dürfen, hatten viele junge Leute und vor allem viele Mädchen die Gelegenheit genutzt endlich eine Punkshow besuchen zu können, ohne zeitlich beschränkt zu sein. Die Freude darüber und die Lust an Punk war vielen dieser Kids buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Mit aufgerissenen Augen und Mündern pogten sie vor der Bühne, brüllten die Songtexte mit und rannten ausgelassen von einer Ecke der Aula zur anderen. Die wohligen Schauer, die mir über die Rücken liefen mündeten in einer exzellenten Stimmung meinerseits. Ich fühlte mich derart wohl, vergass all die Scheisse die ich bislang gesehen hatte und wusste klipp und klar wie selten, warum zur Hölle ich mich nach all den Jahren immer noch an Punk erfreuen kann. Es war unbeschreiblich! Die Bands spielten wie üblich nur wenige Songs, bevor schon wieder die nächste Gruppe auf die Bühne drängte. Daher verlor ich auch komplett die Übersicht, wer spielte, wer bereits gespielt hatte und was zu erwarten war. Selbst die Veranstalter, die mir die ranzige, völlig versiffte und zerrissene Setlist reichten, hatten überhaupt keine Ahnung mehr, wer als nächstes auf die Bühne kommen sollte und ob überhaupt alle Bandmitglieder anwesend waren. Doch dieses Chaos wurde meisterlich überbrückt, denn während der kurzen Umbaupausen standen ständig wild singende oder brüllende Kids auf der Bühne, um die Menge zu erheitern. Auch Ari und Ojie waren hellauf begeistert von diesem Konzert und da immer mehr Leute eintrudelten, konnte es ja nur noch besser werden. Insgesamt waren wohl zwischen 200 und 300 Personen anwesend: schön gestylte Ska-People, Skinheads, Anarchopunks, gepiercte Hardcore Kids, Emobübchen, etc. An jeder Ecke wurde ich angesprochen, in kurze Gespräche verwickelt und ständig gefragt, wie ich mich, als einziger Weisser, ausgerechnet hierher verirren konnte. Mittlerweile hatten zwei Old-School Hardcore Bands gespielt, deren Mitglieder ich zum Teil auch schon kennengelernt hatte. Der Moshpit drehte total durch. Die jungen Kids sprangen zum Teil barfuss durch die wild tobende, aufgeheizte Menge und das Stagediven war extrem ausgelassen und risikofreudig. So eine Hingabe hatte ich Deutschland noch nie erlebt - es war wirklich unfassbar, wie hier durchgedreht wurde!
Als ob mich das nicht schon alles vollkommen überzeugt hätte, machten sich als nächstes einige Mädchen daran, auf der Bühne Instrumente an die Verstärker anzuschliessen. Bislang hatte ich nur eine einzige All-Girl Band in Yogyakarta gesehen. Bei dieser war sofort das Tanzen eingestellt worden und die anderen Musiker, die später auf die Bühne kamen überboten sich mit sexistischen Kommentaren. Ähnliches erwartete ich für die nun anstehenden NO FORM. Doch ich lag vollkommen falsch, denn der Pogo explodierte förmlich. Kaum hatten die fünf Mädels die ersten Akkorde gespielt, fielen schon die ersten Punks dem wilden Tanz zum Opfer, die Menge brauste über die Leiber hinweg und selbst in den letzten Reihen wurde mitgetanzt. NO FORM spielten nur Coversongs, aber das war mir in diesem Moment sowas von scheissegal. Und niemand anderes als diese Punk-Mädels, die in dieser Gesellschaft so bitter kämpfen müssen, um ihr Leben so zu leben, wie sie es für richtig halten, haben die Berechtigung ‘17 years of hell’ von den Partisans zu spielen. Die Meute rastete vollkommen aus und über diesem wilden Reigen von verschwitzen Punkrockern trohnten NO FORM, hielten gönnerhaft das Mikro in die Menge und rockten sich den Arsch ab. Alleine das Styling dieser Band war umwerfend, denn in der grössten muslimischen Nation der Welt ist es natürlich die absolute Ausnahme, als Frau in kurzen Röcken, mit zerschlissenen Strümpfen, Piercings, Tattoos, Nieten, schulterfreien Tops und Stiefeln herum zu laufen. In Deutschland, wo man diese Art von Klamotten schon bei C&A findet, kann man so nicht mehr schockieren. Aber stellt euch eine Gesellschaft vor in der Frauen mit solch einem Outfit tagtäglich beschimpft und belästigt werden - wie cool muss frau sein, um einfach darauf zu scheissen und sein Ding durch zu ziehen. NO FORM liefen mir total rein, denn es war einfach nur grossartig anzusehen, wie sie die Meute im Griff hatten und selbstbewusst auf der Bühne standen. Und das in einem Land in dem auch auf Punkkonzerten verschleierte Mädchen keine Seltenheit sind! Wer hätte das gedacht, dass ich auch mal zu Songs der Flachpfeifen Casualities abfeiern würde, doch als ‘Broken Heart’ von der Deppencombo aus New York angestimmt wurde, gab es auch für mich kein Halten mehr. Der Pogo tobte unablässig und die Band wurde erst nach einer Zugabe von der Bühne gelassen. Freudestrahlend wurden sie von allen Anwesenden beglückwünscht und auch ich liess mich nicht lumpen und laberte den Mädels die Ohren voll, wie gut ich ihr Konzert gefunden habe. Tatsächlich muss ich sagen, dass diese Show für mich eines der besten Konzerte überhaupt war. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass nicht musikalisches Können nötig ist, um als Punkband zu begeistern, sondern Ehrlichkeit, Selbstbewusstsein und der ungebrochene Wille etwas anders zu machen!
Nach dem Auftritt von NO FORM spielten noch unzählige andere Bands, die ich mir wie im Rausch ansah. All die schlechte Stimmung der letzten Tage war wie weggeblasen und all den ganzen Zweifel an Punk, an der Szene, die in mir hochgekrochen waren, begegnete ich nun mit einer Sicherheit, wie selten, denn Punk ist für mich immer noch ein Ausdruck, um gegen die verkrusteten Strukturen der Gesellschaft zu rebellieren. Auch wenn in Deutschland alles längst verwertbar und verkauft worden ist, so gibt es dennoch kleine Nischen in dem Punk genauso wichtig ist und war wie schon immer. und deswegen heisstt es weiterhin: UP AGAINST THE WALL!

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