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PANNEN, PUNX UND PARAGUAY

Paraguay war für mich immer wie ein weisser Fleck auf der Landkarte. Ein Land, von dem ich kaum etwas wusste und das keine mir bekannte Person je besucht hatte. Touristisch ist Paraguay meiner Erfahrung nach ebenfalls eher unerschlossen und es wird wohl von den meisten Westlern, die von Attraktion zu Attraktion hecheln höchstens als Transit-Haltestelle wahrgenommen. Seit ich jedoch mit dem Gitarristen und Sänger der Punkrock-Band ENEMIGOS DE LA KLASE in Kontakt stehe, hat sich mein Interesse für das Land entwickelt. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis ich zusammen mit Julia persönlich in Paraguay “Hallo” sagte.
Unser erster Kontakt mit dem knapp 6 Millionen Einwohner zählenden Land fand in Ciudad del Este statt. Von dem Dörfchen Puerto Iguazu in Argentinien, waren wir über die versiffte, brasilianische Stadt Foz do Iguazú auf Ciudad del Este in Paraguay zugesteuert. Beide Städte sind durch eine schmale, aber hohe und lange Brücke, die sich über den Rio Parana erstreckt, miteinander verbunden. Ciudad del Este wurde erst 1957 unter dem Namen Puerto Strössner gegründet - nach dem damals frisch ins Amt geputschten Diktator Alfredo Strössner, einen rechtsradikaler Schlächter, wie er im Buche steht. Paraguay wurde von 1954 bis 1989 mit Folter, Repression und Terror regiert. Erst 1987 wurde der Ausnahmezustand, der seit dem Beginn der Diktatur gegolten hatte, aufgehoben. Trotz des eher unglücklichen Namens ist die mittlerweile umbenannte Stadt eine der am schnellsten wachsenden Städte des Landes, mit derzeit immerhin 150000 Einwohnern. Das die Stadt wächst und gedeiht liegt an ihrer Lage: nahe an Brasilien und Argentinien. Ciudad del Este lebt nämlich vom Schmuggel. Wie dieser genau abläuft ist mir bis heute schleierhaft. Paraguay hat kaum eigene Industrie, weshalb selbst Linienbusse aus Argentinien kistenweise Schmuggelware wie z.B. Bier, Wein oder Schnaps ins Land bringen. Täglich schaukeln zahlreiche Busse, die in Puerto Iguazu bestückt wurden über die Grenze - Fahrgäste sind dabei eher lästiges Beiwerk. Waren in Paraguay sind im Vergleich zu Brasilien und Argentinien wesentlich billiger, wesehalb der Schmuggel nicht nur in Richtung Paraguay läuft, sondern auch wieder aus Paraguay heraus. Hier versorgen sich Privatpersonen, aber auch Restaurant- und Geschäftsinhaber mit billigen Produkten, bei denen ich nicht wirklich nachvollziehen kann, wo sie nun eigentlich her stammen. Diese Güter verlassen natürlich genauso geschmuggelt das Land. Und zwar auf dem selben Wege auf dem wohl die Einfuhr stattfand: über die Brücke, die einzige Verbindung in die jeweils gelobten Länder! Der Verkehr ist dementsprechend UNFASSBAR! Unzählige Busse, Lastwagen und PKWs aus allen drei Ländern schieben sich in unendlichen Kolonen in beide Richtungen der Brücke. Dazwischen manövrieren duzende von wendigen und schnellen Motorrad-Taxi, die jedoch nicht selten den mit Kisten bepackten Menschen ins Gehege kommen, die in alle Richtungen durcheinander wuseln. Ein heilloses, stinkendes und lautes Durcheinander in welchem völlig überforderte Grenzbeamte nach einem letzten Rest von Ordnung Ausschau halten. Doch eigentlich werden alle Fahrzeuge durchgewunken - Paraguay hat völlig kapituliert. Selbst wer einen Einreisestempel nötig hat, der muss sich selbst darum kümmern. Der einzige Migrationsbeamte sitzt gelangweilt in einem düsteren Büro und spielt lieber den ganzen Tag an seinem Handy herum, statt Einreisende zu kontrollieren.
Direkt hinter der Grenzstation geht es dann erst richtig zur Sache. Neben dem erlahmten Verkehr, der trotz Dauerhupen und Gedrängel nicht so richtig voran kommen will, schwirren tausende von fliegenden Händlern umher. Die Strassen sind überfüllt mit kleinen Verkaufsständen, die sich in mehreren Reihen bis an die Häuserwände übereinander stapeln. Überall wird gehandelt, gefeilscht, gezählt, Ware begutachtet, verpackt und transportiert. Dazwischen sitzten Geldwechsler mit dicken Geldbündeln, die wie alle anderen auch permanent vor sich hin quaken und brüllen. Denn auch sie sind auf der Suche nach....KUNDSCHAFT!! Es bildet sich zusammen mit dem Verkehrslärm ein imposanter Lärmpegel, der durch Stereoanlagen, Playstations und Fernsehapparate, die an jeder Ecke bis zum Anschlag aufgedreht werden, zusätzlich untermalt wird. Verkauft wird hier alles, vor allem natürlich Billigware, Fälschungen und Ramsch! Jeder Klamottenstand hat das gleiche Angebot an gefälschen Hosen, Hemden und Schuhen und die neusten CDs, Kinofilme und Computerprogramme gibt es für einen Spottpreis mit mies kopierten Booklets gleich nebenan. Dazwischen findet sich der ganze Rest: Sportschuhe, Gucci-Brillen, Stereoanlagen, Computerspiele, Lebensmittel, Parfüm,... alles! Ein wahres Inferno und gleichzeitig ein Konsumparadies, denn hier gilt: Hauptsache billig!! Bezahlt werden kann in jeder Währung... Guarani, Peso, Real, Dolar und Euro... wahrscheinlich wären auch indonesische Rupien kein wirkliches Problem! Die leicht apokalyptische Stimmung wird auch durch die zahlreichen halbkriminellen Gestalten verstärkt, die in den schmierigen Grillstuben, verrotteten Bars oder einfach auf den vermüllten Strassen herumlungern. Cracken die einen noch mit primitiven Werkzeugen irgendwelche Handys, so zocken die anderen beim Mittagsbierchen eine Runde Poker - mit hohem Einsatz versteht sich. Andere ziehen sich gemeinsam die neuste Raubkopie eines Pornos rein, während irgendwelche verstörten Kinder daneben stehen. Man möchte gar nicht wissen, was in Ciudad del Este hinter verschlossenen Türen oder in den düsteren Gässchen, Kellergeschäften und Durchgängen passiert, wenn schon das alltägliche Leben so schockierend und abartig ist.
Ich bin ja in meinem Leben wirklich schon ein wenig herumgekommen, doch Ciudad del Este hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt bzw. verwirrt. Wie eine andere Welt erscheint einem dagegen das Gebiet zwischen Ciudad del Este un der Hauptstadt Asuncion, die man mit dem Bus in etwa 5 Stunden erreichen kann. Hier ist Paraguay am dichtesten besiedelt, was aber nicht bedeutet, dass hier das Leben tobt. Im Gegenteil! Das Aufregendste scheint der vorbeidonnernde Bus zu sein, dem die Menschen träge hinterher blicken. Ansonsten brennt die Sonne auf die malerische Landschaft nieder und verbannt das Leben in den Schatten der Bäume und Verandas. Und so führen Schweine, Kühe und Menschen ein gleichsam schlappes Leben. Lediglich an den Haltestellen der Busse tummeln sich Menschentrauben, aus denen Händer allerlei Essbares - in meinen Augen oft Ungeniessbares - empor strecken. Bei längeren Stopps dängeln dann auch Scharen von Verkäufern durch den Bus: Chipa (leckere Maisbrötchen) Verkäuferinnen mit knappen Röckchen und festen Oberschenkeln, alte Knacker mit Unterhosen und Socken oder zahnlose 30-jährige mit Nüssen und Snacks. Die Kauflust ist gering und der Spurt zum einrollenden Bus lohnt sich für die Verkäufer nur selten. Komischerweise schlug uns bei der Ankunft in Asuncion weniger Interesse und “Verkaufen, Verkaufen, Verkaufen”-Stimmung entgegen. Viel zu sehr scheint jeder mit sich, seiner mitreisenden Familie und seinem Gepäck beschäftigt zu sein. Das Gepäck kann durchaus auch mal ein Sofa oder eine Tonne voller lebender Aale sein (ich hätte fast gekotzt). Fast gekotzt hätte ich auch bei der Besichtigung so mancher Traveller-Herberge. Unfassbar was für Rumpelkammern, Burgverliesse und mittelalterliche Knastzellen zu horrenden Preisen angeboten werden. Eine Erwähnung in der Traveller-Bibel Lonly Planet scheint der Freihfahrtschein für Assi-Laune, schmierige Bettlaken und fette Preise. Klasse Hotels mitten im Zentrum, mit eigenem Bad und grossen Zimmern gibt es zu identischen oder gar billigeren Tarifen. Nun - mich kümmert es eigentlich nicht, wenn irgendwelche Touristen in absoluten Burchbuden Unterschlupf finden. Sozusagen Adventure Urlaub mit originalem Slum-Feeling inklusive. Vom Slum-Feeling bekommt man in Asuncion ohnehin mehr mit, als in anderen Großstädten Lateinamerikas. Armut wirdd all zu oft an den Rand der Städte verbannt, Slums, Villas Miserias und Favellas sind für Touristen und die wohlhabende Ober- und Mittelschicht häufig nicht sichtbar. Es sei denn die Viertel der Armut und der Hoffnungslosigkeit wachsen unaufhaltsam die gut sichtbaren Hügel hinauf - wie etwa in Caracas oder Sao Paulo. In Asuncion kann man seine Augen nicht vor der Not und Armut verschliessen. In den Parks der Stadt leben Menschen in primitiven Zelten aus Plastikplanen und in den Überschwemmungsgebieten des Rio Paraguay stapeln sich förmlich Hütten und Behausungen übereinander. Gleichzeitig verläuft aber auch die Innenstadt parallel zum Ufer. Das heisst, in Asuncion steht der noble Regierungssitz und der Kongress in unmittelbarer Nachbarschaft zu den aus Müll und Unrat zusammen gebastelten Slums. Ein wirklicher harter Kontrast, der vorführt wie weit die Schere zwischen Not und Reichtum in Paraguay auseinander klaft. Und täglich ziehen Kolonen von Schuhputzern, fliegenden Händlern und Bettlern aus den Slums los, um in den Strassen von Asuncion das Glück zu suchen. Doch Paraguay ist kein Land, welches mit Glück gesegnet ist. Keine Arbeit, keine Industrie, keine Hoffnung. Und dazu das Nachhallen einer Diktatur. Im Gegensatz zum ebenfalls armen Bolivien, kann Paraguay den internationalen Touristen auch kaum Attraktionen bieten, weshalb das Land hoffnunglos und trostlos vor sich hin zu dümpeln scheint. So wundert es auch kaum, dass Asuncion - immerhin die Hauptstadt und mit einer Millionen Einwohnern auch absolutes Zentrum des Landes - eher den Eindruck einer verschlafenen, kleinen Stadt hinterlässt, statt den Hauch einer Metropole zu versprühen. Besonders Sonntags scheinen sich die Bewohner zu vergraben, denn in den Strassen herrscht die pure Einsamkeit. Statt rollender Büsche wie im wilden Westen, bläst der Wind hier allerdings nur Plastiktüten die Straße entlang. Immerhin erwacht die Stadt unter der Woche - kein Vergleich jedoch mit Städten wie Buenos Aires oder Santiago. Selbst die nur wenige Stunden entfernte Stadt Resistencia im Norden Argentiniens, scheint gegen Asuncion, wie ein wilder Rummelplatz. Man fragt sich was im Rest des Landes, vor allem in den einsamen Gebieten des Chacos - einer riesigen Graslandschaft - wohl so vor sich gehen mag. Was dort wirklich vor sich geht?? Keine Ahnung!! Einen kleinen Einblick boten uns jedoch die Mennoniten, denen wir in Asuncion begegneten. Mennoniten sind eine Glaubensgruppe, die aufgrund ihrer pazifistischen und staatsfeindlichen Einstellung über Jahrhunderte hinweg Repression zu erleiden hatten und daraufhin in entlegene Gebiete zogen. Unter anderem eben nach Paraguay, wo ihnen quasi ein Staat im Staat zugesprochen wurde - eigen Ortschaften, eigenes Bildungssystem, Selbstversorgung, eigene Rechtsprechung, etc. Richtig schräg an diesen Typen ist allerdings erst, das sie deutsch sprechen: Plattdeutsch im Alltag, Hochdeutsch im Gottesdienst! Wie gingen eigentlich nicht davon aus Mennoniten zu begegnen. Im Bus in Ciudad del Este hielten wir allerdings ein spießiges Touristenpäärchen dennoch für diese Art von Turbochristen. Als uns in der Paraguay Metropole dann tatsächlich Mennoniten gegenüberstanden traf uns fast der Schlag, denn niemand hatte uns gesagt, dass die Mennoniten, ähnlich den Amish-People, in seltsamen 19tes Jahrhundert Kostümen daherwackeln. Wir fühlten uns gleich wie im völlig falschen Film - die Frauen mit ihren schwarzen Häubchen und züchtigen schwarzen Kleidern, die Männer mit Latzlhose, Hemd und Strohhut. Jüngere Männer mit miesen Holzfällerhemden und Baseballmützen - für mich sahen sie aus wie die letzten Redneck-Deppen, die in Zombiefilmen als erste zerstückelt werden. Wie gesagt, eigentlich leben die Mennoniten weit ab vom Schuss im Chaco... weit weit Weg vom Rest der Welt. Dort haben sie sich ein paar Dörfchen mit netten Namen wie Neu-Halbstadt errichtet und ihrer Strassen z.B. nach Hindenburg benannt. In die große Stadt geht es wohl nur, um irgendwelche dringenden Geschäfte zu erledigen... allerdings locken dort auch die schönen Dinge einer modernen Zivilsation. Und so hocken die Mennoniten in irgendwelchen Kneipen und glotzen die die Blöden ununterbrochen in den Zauberkasten, den es wohl in Neu-Halbstadt noch nicht gibt. Oh Hölle, bunte sich bewegende Bilder...ich fass es nicht: ein Fernseher!! Leider ist nicht in Erfahrung zu bringen, wie die Mennoniten ihre Gemeinschaften politisch organisieren und wie mit Sündern und den “Kein-Bock-auf-euern-Scheiss”-Kids umgesprungen wird. Für einen Ausflug in die Sektenwelt langte unser Interesse dann doch nicht - 8 Stunden Fahrt schreckten uns ab. Obwohl durchaus interessant gewesen wäre zu ergründen, wie die Mennoniten eigentlich mit den indianischen Bewohnern des Chacos umgehen. Ich befürchte fast, dass dort kein herzliches Verhältnis besteht. Immerhin kann im Rest vom Land der Rassismus und die Diskriminierung von Indigenas nicht derat gedeihen, wie etwas in Argentinien oder Chile. 95% der Bevölkerung  sind Mestizen, also Mischlinge aus Indianern und Weissen. Dieser Umstand bringt Paraguay noch eine sehr interessante Besonderheit ein: es gibt zwei offizielle Landessprachen: Guarani und Spanisch. Beiden werden im Alltag gemischt, weshalb man von Konversationen häufig überhaupt nichts versteht. Welche Sprache als “Hauptsprache” benutzt wird, ist von Familie zu Familie unterschiedlich und hat scheinbar nicht mit Klasse, Bildungsstand, Wohnort o.ä. zu tun. Enemigos de la Klase haben meines Wissens die einzigen zwei Punk-Songs in Guarani geschrieben. Kann ich nur empfehlen.
Obwohl sich vieles, was ich hier zu berichten habe eher uncool anhört, habe ich keine Stunde in Paraguay bereut. Die Menschen sind sehr freundlich und Asuncion hat durchaus seinen Reiz. Dieses vergessene Land scheint fast touristenfrei, die Landschaft (zumindest der Osten) ist wunderschön und insgesamt hat Paraguay einen ganz eigenen Stil, der sich mit keinem anderen Latein-Amerikanischen Land vergleichen lässt, welches ich bisher besucht habe. Paraguay ist vor allem für Leute interessant, die Zeit haben und es eher gemütlich wollen, denn entweder ist es os heiss, das jede Bewegung schmerzen bereitet, oder es schüttet derart, dass die Kanalisation überquillt und kein Mensch vor die Tür treten mag. Die warmen Nächte die man am besten bei eiskaltem Bier in irgendeiner gemütlichen Bar verbringt, entschädigen jedoch allemal für die Trägheit, die einen tagsüber gefangen nimmt.

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