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AUF DEM ZAHNFLEISCH DURCH BOLIVIEN

Wahrscheinlich hat die Hälfte von euch lausigen Punkern mitbekommen, dass ich Deutschland den Rücken gekehrt habe, um mein Glück auf einem anderen Kontinent zu suchen. Keine Frage, dass der Abschied von Freunden und Familie schmerzlich war und der ganze Umzugsstress mitsamt der nervigen Organisation unseres glorreichen Auszugs einiges an Nerven gekostet hat. Zudem habe ich ja auch noch mein Studium beendet. Seltsam dass ich nicht bereits vom einem Herzinfarkt oder einem besonders böswilligen Magengeschwür hinweggerafft wurde. Besonders wundert mich das vor allem, wenn ich an den entsetzlich unruhigen Flug nach Buenos Aires denke (übrigens mit Spanair über Madrid...). Das erste, was mir und Julia deswegen einfiel, nachdem wir ausgiebig in Buenos Aires herumgeschnuppert und uns eine schöne Bleibe gesucht hatten, war daher Urlaub! Ziemlich spontan ging es deswegen nach wenigen Wochen in der Hauptstadt Argentiniens zum Busbahnhof... und direkt am nächsten Tag in Richtung Norden an die Grenze zu Bolivien. Im Jahr 2000/2001, unterwegs mit den Kollegen von APATIA NO wurde uns die Einreise nach Bolivien verwehrt, weshalb das Land noch immer auf meiner „to do“ Liste verweilte. Außerdem ist Bolivien punkrocktechnisch gesehen immer noch Brachland, weshalb es höchste Eisenbahn war, dort auch mal nach dem Rechten zu sehen und ein paar Punkrocker aufzutreiben. Nebenbei bemerkt locken natürlich auch noch diverse Naturschauspiele und kulturelle Besonderheiten, welche ganze Herden an nordamerikanischen und europäischen Touristen ins Land treiben.
Der erste Vollkontakt mit Bolivien fand in Villazón, im Süden des Landes statt. Der Grenzübertritt war erfrischend unproblematisch und verstörte nur durch die seltsame Fragestellung auf den Migrationszettelchen: „
Waren Sie schon einmal an Spionage beteiligt?“, „Sind Sie Drogendealer?“, „Haben Sie schon einmal einen Mord begangen?“.Von Villazón wird in jedem Reiseführer abgeraten, da es in der argentinischen Grenzstadt La Quiaca die „besseren Unterkünfte und die saftigeren Steaks“ gäbe. Voller Befriedigung stellten wir daher fest, dass Villazón wesentlich lebendiger als das trostlose Kaff La Quiaca ist und sich zudem auch noch ein Restaurant finden ließ, in welchem man uns köstliches veganes Essen zubereitete. Abgesehen von diesem prima Einstieg ist Villazón durch seine Schmuggelaktivitäten ein reizvolles und quirliges Städtchen, in dem allerlei Plunder aus Fernost an die Tagestouristen aus Argentinien verscherbelt wird. Dementsprechend kann man in Villazón so ziemlich mit jeder Währung handeln und alle erdenklichen Raubkopien erwerben. Es ist immer wieder sehr interessant zu sehen, wie sich an den scheinbar abgelegensten Grenzstationen dieser Welt ein Abbild des Weltwirtschaftens abzeichnet: Schmuggel, Ausbeutung, Raubkopie, Multinationale Konzerne und Plastik aus China. Ein Mikrokosmos des Kapitalismus, ein Mikrokosmos des Konsumterrors, der aber selbst uns dazu verführt uns mit billigen Produkten zu versorgen. Allerdings verschoben wir diesen Einkaufswahn auf die Rückreise, denn nicht schon jetzt wollten wir unsere ohnehin viel zu schweren Rucksäcke mit noch mehr Ballast füllen.
Da wir keine besonderen Pläne für unsere Reise gemacht hatten, bestiegen wir schon wenige Stunden nach unserer Ankunft einen Bus, der uns nach Sucre bringen sollte. Kurzfristig wurde der geplante Trip nach Tarija, welches nur wenige Stunden entfernt liegt abgesagt, da die einzige Busverbindung den Zielort mitten in der Nacht erreichen würde. Sucre allerdings erreichten wir für Punker-Verhältnisse auch mitten in der Nacht – und zwar um 6 Uhr früh. Nach einer 13-stündigen Busfahrt, die schon mächtig an den Nerven gezehrt hatte, denn das Busunternehmen war nicht dazu imstande gewesen die Platzverteilung zu organisieren, weshalb die erste Stunde ein mit Schimpfworten und Bockigkeiten durchsetzte Diskussion über die besten Plätze entbrannte. Wir waren so dämlich und beendeten das Theater indem wir uns dazu bereit erklärten die miesesten Plätze zu übernehmen. Die letzte Reihe in einem Bus zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, dass einem der Vordermann rücksichtslos seine Lehne auf die Knie knallt, man selbst nicht den Spielraum hat um sich nach hinten zu entfalten und dass man jede kleinste Unebenheit der Straße verstärkt wahrnimmt. Selbstverständlich führte uns der Weg ungefähr 10 Stunden über unwegsame Schotter- und Sandpisten, bevor wir eine einigermaßen geteerte Straße erreichten. Zu allem Überfluss öffnete sich das Fenster zu meiner Seite immer wieder ohne fremdes Zutun, weshalb ich schon nach wenigen Kilometern den stechenden Geschmack von Staub nicht mehr aus der Fresse bekam. Keine Frage, dass ich mir das Trinken verkniff, schließlich gab's im Bus kein Klo und wann die nächste Pause eingelegt würde stand in den Sternen. Kurz gesagt: es war eine recht ordentliche Scheißfahrt!
Um so besser, dass uns Sucre bestens reinlief. Ein schönes Städtchen mit mächtig viel Kolonialarchitektur, einem der schönsten Märkte in ganz Bolivien und obendrein ein feines Frühlingsklima. Was uns allerdings verstörte war die ziemliche Maulfaulheit der Bolivianer, die kaum einen geraden Satz mit uns wechseln wollten und schon gar nicht auf Fragen reagierten. Scheiße, ich glaube so ähnlich fühlt man sich als Fremder in Deutschland. Es schlug uns eine unangenehme Mischung aus Desinteresse und Verachtung entgegen, die ich in so einer Form noch an keinem Ort in Südamerika wahrgenommen habe. Leider änderte sich daran im Laufe der Reise auch herzlich wenig, weshalb wir immer wieder aus der Fassung gerieten. Es war so gut wie unmöglich vernünftige Gespräche oder einfache, freundliche Unterhaltungen mit der Bevölkerung, mit Mitreisenden oder mit Verkäufern zu führen. Überall gab es schweigen, einige ruppige Worte und haufenweise Desinteresse. Schade, denn eigentlich hatten wir uns besonders darauf gefreut Menschen zu treffen und kennen zu lernen, da uns der übliche Hullygully-, Nationalparks- und Landschaftstourismus ziemlich am Arsch vorbei geht. Wir sind eben auf der Suche nach Menschen, nach den Besonderheiten der Gesellschaft, auf der Suche nach einem tieferen Zugang zu einem Land. Dass dies in Bolivien nicht möglich war, ist einerseits ziemlich schade, erklärt aber andererseits auch, weshalb es dort ziemlich lebendige Traditionen verschiedener Indigena-Gruppen gibt, die sich eben nie völlig von äußeren Einflüssen haben überrollen lassen. Der Reiz den dieses Land und seine Bevölkerung ausübt, ist also scheinbar auch in der Verweigerungshaltung gegenüber „Fremden“ begründet. Damit umzugehen fiel uns dennoch schwer, da uns kaum etwas anderes übrig blieb als unseren Redebedarf mit anderen „Gringos“ zu decken, denn auch die Kontaktaufnahme mit der Punkszene war nicht all zu einfach. Unsere Versuche den alten Freund Memo in Sucre zu kontaktieren waren leider nicht fruchtbar. Memo hat schon Mitte der 90er Jahre die Grind-Klopper-Band ESCATOFAGIA gegründet, die dank ihres Tapes „Mother Coca takes Revenge“ und vor allem wegen ihrer Single auf View Beyond Records auch außerhalb Boliviens bekannt wurden. Zu unrecht, wie viele Leute meinen, denn der total desaströse Gurgel-Holper-Grind dieser Kapelle wird weitgehend als Lachnummer wahrgenommen. Nichtsdestotrotz hatten ESCATOFAGIA eine Vorreiterrolle inne und waren vor allem durch ihre anarchistischen Ansichten, den Blackmetal-Kapellen, mit denen sie die Bühne teilen mussten, um einiges voraus. Keine Ahnung, was aus der Band oder aus Memo geworden ist... das letzte mal habe ich den Kerl in Caracas im Jahr 2002 gesehen.
Betrübt über die mangelnden Szenekontakte ergötzten wir uns zumindest an den wenigen vegetarischen Restaurants in Sucre, wobei vor allem jenes Lokal hervor stach in dem vegetarisches Essen nebst (!) deutschen Fleischspezialitäten feil geboten wurden Unglaubliche Sachen gibt's! Unglaublich auch, dass wir bei unserem zweiten Besuch des Restaurants auf zwei Gestalten trafen, die ganz eindeutig der europäischen Crustie-Szene zuzuordnen waren. Ich war ganz schön baff festzustellen, dass es sich bei den beiden um Daniel und Sabi aus Bregenz handelte, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Wir feierten diese unverhoffte Zusammenkunft gleich bei ein paar Kannen Bier und verabredeten uns für den nächsten Tag zum Wandern! Richtig gehört, genau die Art von körperlicher Ertüchtigung, gegen die ich mich meine ganze Kindheit und Jugend gesträubt habe. Man wird aelter, weiser und spiessiger. Aber hey, durch fremde Länder zu latschen und sich die Natur anzuglotzen ist einfach etwas anderes als mit Mama und Papa durch Tirol zu eiern, oder? Deswegen unternahmen wir nicht nur einen schönen Ausflug mit Daniel und Sabi sondern marschierten bei jeder nächstbesten Gelegenheit durch die Landschaft. So auch in Samaipata, einem Ort vor den Toren von Santa Cruz. Samaipata ist ein kleines, entspanntes Örtchen, in dessen Umgebung nicht nur der Nationalpark Amboro, sondern auch noch eine spektakuläre Prä-Inka-Ruine namens El Fuerte liegt. Hoch oben über den Ausläufern der Anden ist dort in einen riesigen Sandstein eine Unzahl an Symbolen, Nischen und Figuren eingeritzt, über deren Ursprung so ziemlich gar nichts bekannt ist. Selbst die Inka standen wohl einem Rätsel gegenüber, ließen es sich jedoch nicht nehmen, diesen heiligen Felsen ebenfalls als Kultstätte zu nutzen. Irgendwelche idiotischen Touristen haben in der Vergangenheit allerdings so auf dem Stein herum randaliert, dass man sich das ganze Ding heute leider nur mit Sicherheitsabstand betrachten kann. Trotzdem kam uns der Ausflug vor, wie unser ganz persönlicher Aufstieg zum Machu Picchu. Tolles Ding, tolle Landschaft und sicherlich auch was für Esotherikspinner, die hier auf die Ankunft von Ufos warten könnten.
Santa Cruz, die östliche „Hauptstadt“ des Landes selbst war mit ihren entsetzlichen Hostel-Zimmern (eine karge Mischung aus Einzelhaft und Mönchszelle – obendrein auch nicht gerade billig) und einem lausigen Angebot an Märkten und Restaurants alles andere als einladend. Zwar spielt sich in dieser Gegend wohl eine Menge an kulturellem Leben ab, davon bemerkten wir auf die Schnelle jedoch reichlich wenig. Immerhin schaffte ich es ein paar CDs von lokalen Punkbands aufzutreiben. Die Mini-CD „hey ho let's rock“ der Band MARY JANE'S AFFAIR ist dabei die wohl peinlichste Scheibe, die ich mir im Verlauf der letzten Jahre gekauft habe. Zwei lächerliche Hampelmänner, die hier coole Rockmusik mit unerträglichem Poser-Englisch darbieten und sich nicht mal für das weltschlechteste Musikvideo der Welt schämen. Der Gipfel der Uncoolness sind die Grüße an Gott (!!) und der Vermerk, dass „all rights reserved“ sind. Ach fickt euch, eure langweilige Rockscheiße ohne ein Fünkchen Wut und Angepisstheit, dafür garniert mit Kindergarten-Rap, erträgt sowieso keine Sau.
Wesentlich besser sind hingegen SINFOBIA, die auf ihrer CD „Para que resbale mejor“ 7 Songs flotten und melodischen Punkrock bieten. Nicht gerade ausgereift oder umwerfend, aber immerhin solider, simpler Punkrock. Für meinen Geschmack zwar ein bisschen zu nahe am Tralala-Kinderpunk, aber immer noch einigermaßen im grünen Bereich.
Beste Band im Bunde sind zweifellos CALAMBRE, die auf ihrer CD „Un ritmo nuevo...“ gleich von Anfang an gut auf die Tube drücken und aggressiven und schnellen Punkrock spielen. Hier wird jedenfalls auch mal richtig gebrüllt und derbe gerotzt. Vor allem die gute Produktion, der Einfallsreichtum der Band und das enorme Selbstwertgefühl des Sängers, lassen diese CD zum Gewinner werden. Sozialkritische Texte gibt es oben drauf und lediglich der Hang zum Rock, statt zum Hardcore ist etwas schade.
Soviel zum Thema Punkrock! Es geht also etwas in Santa Cruz, allerdings konnte uns die Stadt trotzdem wenig begeistern und auch das schöne und heiße Wetter konnte nichts daran ändern, dass wir Santa Cruz ziemlich schnell den Stempel „öde und langweilig“ draufknallten. In unseren Augen ist Santa Cruz nichts weiter als eine ziemlich durchschnittliche Stadt, die sich in dieser Form auch irgendwo in der abgelegenen Provinz von Brasilien finden könnte. Das deutet auch schon darauf hin, was uns am interessantesten an Santa Cruz erschien. Die Stadt ist derart unterschiedlich von den großen Städten des bolivianischen Hochlandes, dass man tatsächlich das Gefühl hat sich in einem anderen Land zu befinden. Dieser Umstand reichte jedoch bei weitem nicht aus, um uns länger als zwei Tage an den Ort zu fesseln. Nichtsdestotrotz bekamen wir eine ungefähre Ahnung davon, worauf die Spannungen innerhalb der bolivianischen Gesellschaft beruhen. Wirtschaftlich gut gestellte Provinzen, wie Santa Cruz versuchen sich nicht in eine zentralistisch geprägte Politik, die von La Paz ausgeht, einbinden zu lassen und beharren auf ihrer Unabhängigkeit, bzw. darauf, dass die Einnahmen aus dem Ölgeschäft in der Region bleiben und nicht „im Land versickern“. Dass es sich dabei nicht nur um einen rein wirtschaftlichen Konflikt handelt wird eben offensichtlich, wenn man sich die kulturellen  Unterschiede zwischen Hoch- und Tiefland anschaut. Trotzdem wittert der Präsident Evo Morales hinter den Autonomie-Bestrebungen natürlich nichts anderes als den US-amerikanischen Imperialismus, der sich gegen seinen Pseudosozialismus wendet. Gestärkt durch den Verbündeten Hugo Chavez und seine Petro-Dollars wird hier Kalte-Kriegs-Polemik aufgekocht, die nach wie vor gut bei der Bevölkerung ankommt. Wenn in Bolivien ein Sack Reis umfällt, dann steckt mit Sicherheit der Ami dahinter. Wie gut, dass man die Gringos hat, denen man jedes schwer zu lösende Problem locker unterschieben kann. Dementsprechend wird dann natürlich auch die Bevölkerung von Santa Cruz als geldgierig, kapitalistisch und bourgois verunglimpft und somit die Spaltung des Landes weiter untermauert. Der erste Schritt zur Lösung der Probleme Boliviens wäre es zu akzeptieren, dass es eben keine einfachen Lösungen und vor allem keine einfachen Probleme gibt, auch wenn ein vom Personenkult umwehter Populist wie Evo Morales dies mit seinen Schwarz-Weiss-Erklärungen der Bevölkerung immer wieder einzutrichtern versucht: „Wir sind die Guten. Die anderen sind die Bösen!“ Dass aber selbst Evo Morales langsam kapiert hat, dass sein Land droht auseinanderzubrechen, erklärt die zahlreichen Werbefilmchen, die mittlerweile mit staatlicher Unterstützung über die Kanäle gejagt werden. All zu sehr erinnern diese Clips an die unsägliche „Du bist Deutschland“-Kampagne, die ja auch nichts anderes war als die Vorbereitung zu einem neuen Nationalgefühl. Genauso in Bolivien, wo die Einigkeit innerhalb der Bevölkerung wohl nur noch durch einen ausgeprägten Nationalstolz gesichert werden kann. Dementsprechend häufig flattern einem in Bolivien dann auch die Nationallappen um die Ohren und man wird andauernd genötigt die Vorzüge des Landes zu betonen und
Bolivien zu loben. Ich kotze im hohen Bogen, wenn ich an all diese depperten Kleingeister in Europa denke, die sich aufgrund des Linksrucks in Lateinamerika eifrig einen runterholen, weil sie darin die Erhebung der unterdrückten Masse sehen.
Wenn sich die Masse erhebt und dabei nur stumpfer Nationalismus und Schwarz-Weisser-Bockmist herauskommt, dann soll die Masse meinetwegen mit ihrer Nationalkarre ordentlich vor die Wand knallen!
Aber weiter im Text... wir machten uns schnurstrac ks davon... weiter nach Trinidad, der Provinzhauptstadt des Bundeslandes Beni. Schnurstracks ist dabei allerdings wieder eine maßlose Übertreibung, denn zunächst standen wir 3 Stunden im Stau, um auf unsere Gelegenheit zu warten, einen Fluss auf einer Eisenbahnbrücke zu überqueren. Ein weiteres Bonbon, welches uns die Warterei versüßte war die defekte Klimaanlage, welche die gesamte Belegschaft des Busses entweder in hemmungslose Rage oder betäubte Apathie versetzte – keine Ahnung, wie wir diesen Hitzekoller überstehen konnten. Gebeutelt von dieser Tortur kamen wir in Trinidad an und mussten zu unserem Entsetzen feststellen, dass der Reiseführer ausnahmsweise die Wahrheit berichtet hatte. Trinidad unterstreicht seinen provinziellen Status dadurch, dass a) sämtliche Einwohner mit Mopeds herum düsen und b) die Kanalisation der Stadt offen liegt. Der erste Aspekt sorgt dafür, dass man sich in Trinidad kaum normal unterhalten kann, weil ständig ein kaputter Vergaser oder ein frisierter Auspuff dazwischen röhrt. Punkt b) hingegen sorgt für einen permanent wabernden Kloakeduft und für Panik im Angesicht der Bazillen und Krankheiten, die sich in der unter tropischer Sonne kochenden Scheiße entfalten. Außerdem wirkt es wirklich etwas verstörend, wenn besoffene Kneipengäste gar nicht erst die Toilette aufsuchen, sondern direkt von der Eingangstür aus in den Rinnstein seichen. Apropos Besoffene! Wir schätzen uns glücklich ein günstiges Zimmer mit ausreichendem Moskitoschutz und mehreren greisen Rentnern als Mitbewohner gefunden zu haben – allerdings stellte sich erst des Nachts heraus, unter welchen Mangel unser Zimmer diesmal litt: Nachtruhe! Denn direkt neben unserem Zimmer befand sich eine Karaoke-Bar in der pünktlich ab 20 Uhr Schmachtfetzen und Schlager intoniert wurden. Je später der Abend desto betrunkener die Gäste und desto überheblicher die Versuche seine eigene Stimme ins rechte Licht zu setzen. Wir wurden Zeuge von entsetzlichen Entgleisungen, die an Songs praktiziert wurden, die ohnehin schon Entgleisungen des guten Geschmacks sind. Aber sei's drum, denn Trinidad hatte noch ein paar weitere Vorzüge im Schlepptau. Zum Beispiel war der Pool eines schickeren Hotels, den wir für eine geringe Eintrittsgebühr ausgiebig nutzen konnten, ein echter Bringer. Aber vor allem die recht entspannte Lebensweise in der Tropenhitze, das großartige Obst, welches wir auf dem Markt finden konnten und der allabendliche Cruising-Sport der Bewohner (mit den Mopeds immer rund um die zentrale Plaza) machen Trinidad zu einem wirklich netten Ort. Außerdem ist hier der internationale Tourismus so gut wie überhaupt nicht präsent – mit dem Nachteil allerdings, dass zum Beispiel Exkursionen in die umliegenden Gebiete ziemlich kostspielig sind (zumindest im Vergleich). Trotzdem blieben wir nicht all zu lange, da wir abermals auf unseren Reiseführer vertrauten und uns nach San Ignacio de los Moxos begaben, um dort dem alljährigen Treiben bei der San Ignacio Prozession beizuwohnen. Scheinbar DAS Highlight der Tiefland-Folklore, bei dem zahlreiche Indigenas aus ihren versprengten Siedlungen zusammenfinden, um eine krude Mischung aus christlicher Heiligenverehrung und traditionellen indigenen Ritualen, Taenzen und Gesaengen zu zelebrieren. Wow!
Der Weg nach San Ignacio war – wie könnte es anders sein in einem Land in dem nur 2 Prozent des Straßennetzes asphaltiert sind – beschissen. Für die 92 Kilometer benötigten wir ganze 4 Stunden, inklusive dreier Flussüberquerungen. Auch in San Ignacio selbst lief es weniger rund. Im Hotel, in welchem wir ein Zimmer reserviert hatten (schließlich gibt es in San Ignacio gerade mal drei Herbergen) zeigte man sich ratlos, da man sich zwar an uns erinnern konnte, allerdings kein freies Zimmer mehr im Angebot hatte. Der Chef des Hauses, ein etwa 80jähriger Greis überlegte etwa eine halbe Stunde bevor er uns das Zimmer seines Enkels herrichten ließ – immer noch für den unglaublichen Preis von stolzen 15 Euro pro Nacht (ansonsten liegen die Preise für Übernachtungen in Bolivien zwischen 2 und 10 Euro). Zudem war das Zimmer so ziemlich das mieseste Loch, welches wir auf unsere ganzen Reise bewohnen sollten – da halfen auch die zahlreichen Sportposter und Unterwäsche-Werbungen nicht, mit denen der Enkelsohn seine Butze dekoriert hatte. Stimmung kam dann wieder auf, als wir uns im Dorf umsahen und feststellten, dass bereits kräftig gefeiert wurde – unter anderem das Ziegenfest, bei dem nicht nur Tiere anzuschauen, sondern auch gleich noch zu verköstigen waren. Recht makaber, aber insofern gut, als man durchaus auch Gerichte ohne Ziege probieren konnte. Neben dem obligatorischen Reis (dazu später mehr) gab es leckeren Palmherzsalat, eine Art süßen Kartoffelsalat, Yucca-Stücke und Kochbananen.
So richtig los ging es mit dem Fest dann allerdings erst am nächsten Tag, als schon ab früh morgens Musikkapellen und Tanzgruppen im Dorf ihr Unwesen trieben. Mit seltsamen Holzgesichtern maskierte Männer, mit Federkronen geschmückte Opas, bunt gekleidete Frauen und massenhaft Kinder, die in verschiedenen Gewändern oder Verkleidungen durch die Gegend hüpften, bevölkerten nun das Dorf. Unzählige Schaulustige, aber verhältnismäßig wenige westliche Touristen beobachteten das wilde Treiben, welches am ersten Abend mit einem chaotischen Feuerwerk beendet wurde. Ohne Unterlass zündeten die Gruppe der Maskierten ohrenbetäubende  Kanonenschläge und stürzten sich mit funkensprühenden Kopfbedeckungen in die panisch auseinander rennende Meute. Die entzündeten Raketen, die eigentlich den Nachthimmel erleuchten sollten, schossen immer wieder fehlgeleitet durch die Zuschauermengen und sorgten für Angst und Schrecken. Ein beeindruckendes Spektakel, bei dem einem
deutschen TÜV-Beamten der kalte Schweiß in den Schuhen gestanden wäre. Insgesamt waren die Tage gespickt mit wirklich interessanten Ritualen, Tänzen und Verkleidungen, deren Sinn und Inhalt sich uns allerdings selten erschloss. Unsere unzähligen Versuche genaueres über die Brauchtümer in Erfahrung zu bringen, wurden von den murmelnden Einheimischen mit Ausflüchten und kruden Geschichten beantwortet. Immerhin konnten wir in Erfahrung bringen, dass Alkohol bei solch einem Fest durchaus eine Rolle spielt. Dementsprechend verballert liefen einige Gestalten durch die Gegend – als Tourist ist man da natürlich erstes Opfer für schlechte Sprüche oder Freundschaftsbekundungen. Aber damit konnten wir locker umgehen. Eher schlecht ging es unseren Gedärmen, die nunmehr seit ein paar Tagen nur von Reis und einigen Früchten genährt wurden und somit irgendwelchen Bazillen weit weniger  entgegen zu setzen hatten, als uns lieb gewesen wäre. Julia bekam als erste Fieber, hielt sich aber ziemlich wacker. Ich hingegen klappte förmlich zusammen und derillierte zwischen Durchfallkraempfen, Schüttelfrost und Schweissausbrüchen vor mich hin und wollte am liebsten hier und heute den Löffel abgeben. Die Lage wurde auch noch dadurch verschlimmert, dass wir in  diesem besagten, ranzigen Zimmer verbleiben mussten, weil ein einsetzender Tropensturm das ganze Dorf unter Wasser setzte. Davon ließen sich allerdings die zahlreichen fiependen und rödelnden Kapellen nicht beeindrucken, die bis ins Morgengrauen mit ihrem schrägen Tamtam fortfuhren. Trotz oder gerade wegen unserer schwachen Verfassung, gab es für uns nur einen Gedanken: Nix wie weg hier!! So schön das Fest auch war, der Regen, das Fieber, das Essen und nicht zuletzt die katastrophalen sanitären Anlagen, hatten uns ordentlich eingeheizt. San Igancio de los Moxos ist ja nicht gerade der Nabel der Welt, weshalb die zwei Busse, die – sofern es die Straßenverhältnisse erlauben - täglich durch das Dorf brausen, meistens restlos ausgebucht sind. Wir schafften es einen Fahrer zu überzeugen uns dennoch mitzunehmen. Allerdings mussten wir dafür tief in die Tasche greifen und mit einem Platz auf dem glühend heißen Motorblock Vorlieb nehmen. Nach der letzten Nacht mit 40 Grad Fieber und anhaltenden Bauchkrämpfen, war diese Position – milde umschrieben – suboptimal. Suboptimal übrigens auch mal wieder die Straßenverhältnisse. Der üppige Regen hatte die ohnehin miese Piste in eine einzige Schlammgrube verwandelt, die nur unter höchster Anstrengung zu durchkreuzen war. Wir begegneten zahlreichen Karren, die schon im zaehen Morast stecken geblieben waren und deren
Fahrer und Beifahrer nun ratlos um die Kisten herum standen. Und irgendwo erwischte es uns dann natürlich auch noch. Zum Glück bekamen wir die olle Mühle wieder aus dem Dreck und konnten die beschwerliche Fahrt nach San Borja weiterführen. Überflüssig zu erwähnen, dass wir mit gehöriger Verspätung (6 statt 3 Stunden) ankamen und dementsprechend froh waren, dass wir tatsächlich noch einen Anschlussbus nach Rurrenabaque bekommen würden. Allerdings wurden aus den versprochenen 4 Stunden Fahrt über eine „Piste in sehr gutem Zustand“, eine 7-Stunden-Marter mit ordentlich Staub, Schlaglöchern und keiner Möglichkeit die Beine auszustrecken.
Wie gut, dass uns Rurrenabaque förmlich mit offenen Armen empfing und wir um 3 Uhr Nachts noch eine geschlagene Stunde durch dieses Kaff kreuzen mussten, bevor uns irgend ein Hotel die Pforten öffnete. Wir fühlten uns gebeutelt, geschunden, ausgelaugt, ausgebrannt und hundeelend! Und zu allem Überfluss verbrachten wir die nächsten paar Tage hauptsächlich damit das nächstbeste Scheißhaus aufzutreiben. Nichtsdestotrotz waren wir überglücklich im entspannten Rurrenabaque angekommen zu sein, welches dank seiner Nähe zum berühmten Nationalpark Madidi, bestens auf Touristen eingestellt war. D.h. Drinks, Essen, Haengematten und tropische Temperaturen.
Nachdem wir vollständig kuriert waren, konnten wir uns ins nächste Abenteuer stürzen: eine 4-tägige Boots-Fahrt durch den Madidi-Nationalpark, von Rurrenabaque nach Guanai. Da der Madidi-Park eine Vielzahl an verschiedenen Ökosystemen umfasst, sich von der Tieflandzone bis hin zu den verschneiten Gletschergipfeln erstreckt, weil er zudem weitgehend „unberührt“ und unzugänglich ist, gilt er als einer der schönsten und artenreichsten Naturreservate Lateinamerikas, wenn nicht sogar der Welt. Klar, dass wir uns auch nicht davon abschrecken ließen, dass wir die nächsten 4 Tage zusammen mit 4 rotgebrannten Engländern verbringen würden. Das waren leider tatsächlich eine ordentliche Gruppe an stumpfen Adventure-Touristen, die uns schon nach dem ersten Tag gehörig auf den Geist gingen. Aber egal, denn die Fahrt durch den Dschungel war bezaubernd und schlichtweg der Hammer, auch wenn wir natürlich ganz schön leiden mussten. Wir schütteten uns zwar permanent irgendwelche Anti-Insekten-Mittelchen über die Haut und versuchten uns trotz der erdrückenden Hitze möglichst geschlossen zu kleiden, aber spätestens beim Scheißen entblößte man dann doch unbedacht eine Hautpartie, auf welche sich das blutsaugende Gekrieche stürzte, wie eine Horde Schnäppchenjäger. Als mir dann auch noch eine rote Riesenameise in den Bauch biss, hatte ich auf alle Fälle die Schnauze voll von Insekten und versuchte mich nachts im miefigen Moskitoschutz zu verbarrikadieren. Die Nächte waren aber auch ohne Insektenübergriff ziemlich unruhig, weil es entweder wie aus Eimern goss und man damit beschäftigt war das ganze Gepäck zu versorgen, oder aber es war siedend heiß und man kochte derart im eigenen Saft, dass man glaubte den morgen nie und nimmer zu erleben. Aber egal, denn schließlich wurden wir mit wunderbaren Exkursionen in die satte Natur belohnt, konnten immer wieder über Pflanzen und Tiere staunen und lauschten abends, bei veganem Essen, welches dank unserer herzlichen Köchin Erika üppig und superlecker war, dann dem Geschrei der Brüllaffen. Leider ist aber selbst der Madidi-Park kein wirklich unangetasteter Naturpark. Wie uns unser Guide Sebero berichtete seien in den 70er und 80er Jahren massiv Jaguare und andere Katzen aufgrund ihrer Felle gejagt worden. Und seid die Tiere immer schwieriger zu finden sind, sei man dazu übergegangen wertvolle Tropenhölzer zu schlagen. Da auch den meisten Zedern und Mahagoni-Bäumen der garaus gemacht worden sei, ist nun der nächste Boom ausgebrochen: die Goldsuche! Und tatsächlich kamen wir auf unserem Weg nach La Paz immer häufiger an kleinen Siedlungen und Camps von Goldsuchern vorbei, die im trüben Wasser der Flüsse nach Goldstaub suchen. Die pure Armut treibt zudem immer mehr Menschen aus dem Hochland in die vermeintlich fruchtbaren Gebiete des Dschungels, um dort als Bauern ein mehr schlecht als rechtes Dasein zu fristen. Was der Mensch im Dschungel mit sich bringt ist klar: Rodungen, die sich auch aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise, immer weiter ausdehnen. Da erscheinen dann die ehrgeizigen Pläne zur Landreform eines Präsidenten wie Evo Morales, der der armen Bevölkerung Land und Nahrungsmittel verspricht, dann plötzlich doch sehr fragwürdig. Wenn der Magen knurrt, dann ist eben auch die Natur scheissegal! Wir verließen den Dschungel also durchaus mit gemischten Gefühlen... und kamen nach einer abermals ätzenden Fahrt (8 Stunden statt der angekündigten 4 Stunden... die Gangschaltung war kaputt und wir konnten irgendwann nur noch im ersten Gang daherschleichen) mit ebenso gemischten Gefühlen in La Paz an. Das mag daran liegen, dass La Paz mit seiner Höhe von 3800m schon von Natur aus ziemlich atemberaubend ist. Die Höhe spürt man ziemlich deutlich... an Kurzatmigkeit, Schwindel und einem fiesen Pochen im Hinterkopf. Aber auch ohne diese Dreingabe ist La Paz ein ganz schöner Kracher. Die riesige, rotbraune Stadt ist ein unübersichtliches Gewirr von Rohbauten, die sich übereinander stapeln und die graubraunen Berge hinaufkriechen. Die trockene, braune Landschaft verschmilzt geradezu mit den hässlichen Gebäuden, während der mächtige, schneebedeckte Illimani-Gipfel auf das Treiben der Menschen hinunter zu blicken scheint. Wahrlich keine schöne Stadt, aber ein faszinierender Anblick an dem ich mich nicht so schnell satt sehen konnte. Auch von dem quirligen Leben und den unzähligen Marktständen, welche die Straßen der Stadt füllen, konnte ich kaum genug bekommen. La Paz hatte mich ziemlich schnell in seinen Bann gezogen, auch wenn ich nicht wirklich feststellen konnte woran das lag. Im Vergleich zu anderen Metropolen Lateinamerikas wirkt La Paz sehr gemütlich und – vor allem was das kulturelle Angebot betrifft – verschlafen... auch wenn auf den Straßen permanent das Leben tobt. La Paz scheint ein einziger großer Marktplatz zu sein, auf dem alle erdenklichen Gebrauchsgüter angeboten werden. Dabei denke ich nicht nur an die touristisch inszenierten Stände des Hexenmarktes (auf dem neben Lama-Föten auch alle Formen von abgeschlachteten und getrockneten Viechern zu erwerben sind (inkl. Jaguarfellen, etc.)), sondern an die Verkäufer, die sich auf bestimmte Artikel spezialisiert haben: Nägel, Kerzen, Heiligenbildchen, Kuchen, Waschpulver, Wärmflaschen, Spielzeuge, touristischer Ramsch und natürlich immer wieder Raubkopien von Filmen und Musik. La Paz ist trotz seiner Armut ein Ort an dem sich so ziemlich alles finden lässt – bzw. wo man zumindest eine Raubkopie des gewünschten Produktes auftreiben kann. Sofern man sich diese leisten kann. Für den europäischen Touristen herrscht hier natürlich Schnäppchenfieber pur, für Bolivianer sieht es aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der verschwindend geringen Löhne (als Koch, Verkäufer oder Kindermädchen gibt es beispielsweise den mageren Monatslohn von 40-60 Euro) allerdings ganz schön finster aus. Kein Wunder, dass Bolivien daher immer mehr den Ruf angehaftet bekommt ein unsicheres Reiseland zu sein – die Kriminalitätsrate steigt eben mit der Armut. Allerdings blieben wir von Langfingern und Räubern verschont und hatten auch so eher den Eindruck, dass Bolivien und auch La Paz verhältnismäßig sicher sind. Und das obwohl die Touristen, die vor allem in La Paz unter der Höhenkrankheit zu leiden haben, wirklich wenig Gegenwehr leisten könnten. Aber nach Einbruch der Dunkelheit verbarrikadieren sich die meisten Touristen sowieso in ihren Herbergen, da es einerseits schweinekalt wird und andererseits das Nachleben alles andere als berauschend ist. Selbst in den Touristenabsteigen ist es allerdings nicht gerade kuschelig und gemütlich, denn Worte wie Doppelglasfenster, Isolierung oder Heizung sind trotz der empfindlichen Kälte, die nachts in La Paz herrscht, absolute Fremdworte. Statt in unserem Zimmerchen zu bibbern zogen wir es also vor mit der bolivianischen Anarchopunkszene in Kontakt zu treten und uns mit ein paar Getränken zu wärmen. Josh aus La Paz und Rena aus Peru zogen gleich mit uns zur einzigen vernünftigen, bzw. alternativen Kneipe: eine absolute Hippieabsteige bestehend aus einem verrauchten Räumchen, bunt bemalten Wänden und rauschbärtigen Gästen. Alter Vater, genauso stelle ich mir irgendwelche illegalen Kneipen in einem besetzten Haus im Berlin der 1968er Jahre vor. Ich hege ja wahrlich überhaupt keine Sympathien mit dem Hippiefratzen; hier in La Paz war ich jedoch glücklich endlich auf ein paar Menschen zu treffen, die sich eben nicht der Durchschnittsbevölkerung anpassen. Da die Anarchopunkszene ohnehin nur aus 8 bis 10 Personen besteht, muss man sich eben auch mal mit Hippies arrangieren, die in ihrer Kneipe dann auch noch lustige Getränke ausschenken: Kraeutertee mit Schnaps! Wir piffen uns ein paar Kannen rein, bevor wir uns dazu entschlossen noch in einer anderen Lokalität unser Glück zu versuchen. Auf der Suche nach einem Glas Bier stürzten wir in eine Cumbia-Disco rein, in der man uns offenbarte, dass es nur noch Vodka oder Rum zu trinken gäbe – flaschenweise versteht sich! Bei 4 Euro pro Flasche, inklusive Mischgetränk, Eis und 4 Bechern zögerten wir natürlich nicht lange, sondern orderten und bereiteten uns auf unseren Tanzauftritt vor. Aus den Boxen schmetterten nämlich sämtliche Villera-Hits mit denen wir uns auf unserer Reise schon vertraut gemacht hatten. Villera ist der Musikstil, der in den argentinischen Villa-Miserias, den Armenvierteln und Slums von Buenos Aires gespielt wird. Simpler Idioten-Beat, schmalzige Texte und einprägsame Melodien, der absolute Unterklasse-Sound, der eigentlich anständige Punker zum kotzen bringt. Geil, dass sowohl Josh als auch Rena Feuer und Flamme waren und gar nicht glauben konnten, dass auch wir auf diesen Trash abfahren! Wir soffen, grölten , tanzten und freundeten uns mit zahlreichen Schnapsdrosseln an, die zusammen mit uns tanzen oder trinken wollten. Nachdem wir unsere zweite Flasche Vodka geleert hatten, sah es um uns herum auch nicht mehr so fröhlich aus. Ein paar total besoffene Vollassis saßen mit hängendem Köpfen am Nebentisch, die besoffenen Mädels verloren sich in den grabschenden Händen der Tänzer und ein paar Idioten versuchten uns permanent einen Drink aus den Rippen zu leiern. So feuchtfröhlich der Abend auch war, so hatten wir doch genug Zeit gefunden Josh etwas über die Punkszene in La Paz auszufragen. Er berichtete davon, dass die Szene unter den üblichen Probleme leide: wenige Leute, viele Selbstdarsteller, viele ignorante Idioten und ständiger Streit darum, wer den nun die bessere politische Idee vertritt, bzw. wer nur ein Poser sei. Die relativ junge Anarchopunkszene von La Paz habe, obwohl die ältesten Punks um die 23 oder 24 Jahre alt seien, schon diverse Spaltungen und Krisen durchstanden. Davon zeugen auch die zahlreichen Bands, die sich gegründet, aufgelöst, neu formiert und nach Umbesetzungen neu benannt haben. Die Geschichte der Punkszene
Boliviens reicht natürlich etwas weiter zurück, als die der Anarchopunkszene, doch so richtig viel los, war im ärmsten Land Südamerikas noch nie. Zu erwähnen sind auf jeden Fall SCORIA, die schon Mitte der 90er Jahre ihre ersten Demotapes aufgenommen haben. 1997 gab's dann mit „Yo no soy ninguno de arriba“ das erste, als Kassette veröffentlichte Album. Die Band ist weiterhin aktiv und hat unter anderem Fun People und Pirexia bei ihren Touren in Bolivien unterstützt. Allerdings sind sie eher in die Richtung Rock abgeglitten und haben mit reinem Punkrock nichts am Hut. Auch wenn die bolivianischen Anarchopunks abwinken, finde ich diese Kapelle durchaus interessant. Schade, dass sie sich nicht auf meine Kontaktversuche gemeldet haben. Im Jahr 2000 veröffentlichte dann die Poppunk-Band 7'31 ihr Album 7'31 – ein Machwerk bei dem ich mich nicht mal trauen würde die Anarchopunks zu fragen. Da würde ich vor Entrüstung wahrscheinlich aus dem Land getrieben! Ganz deutlich ist die Band von Fun People beeinflusst und muss sich dementsprechend wohl auch mit dem Vorwurf des Kommerz herumschlagen. Ich finde die Kassette dennoch ganz ansprechend. An neuen Bands, die allesamt der Anarchoszene entspringen und es sogar zu Aufnahmen gebracht haben, gibt es eine handvoll zu erwähnen. RAS haben zum Beispiel das Album „Destruir para Konstruir“ aufgenommen, auf dem es 11 räudige Proberaum-Aufnahmen auf die Löffel gibt. Rabiater und simpler Anarchopunk mit tiefer Stimme, schrammligen Gitarren und rumpelndem Schlagzeug. Aber eben durchaus charmant und mit genug Wums und Herzblut vorgetragen, um auf der Gewinnerseite zu landen. Natürlich sind auch alle Songs live eingespielt, was dem ganzen einen direkten und wilden Charakter verleiht, dem so manche Band durch Tricks und Kniffe im Studio nahezukommen versucht. Das hier ist eben einfacher, ehrlicher und verdammt dreckiger Anarchopunk aus einem sogenannten „Dritte-Welt-Land“. Heilige Scheiße, genauso muss der Punk klingen!!! Muss ich da noch erwähnen, dass die Texte verdammt cool sind und sich unter anderem gegen den Machismo der bolivianischen Gesellschaft, die Macht der katholischen Religion, die Bürokratie und den Patriotismus aussprechen. Das sind Positionen, die innerhalb der bolivianischen Gesellschaft wohl nur die wenigsten vertreten. Geil! Ansonsten ist mir noch der Sampler KAP in die Hände gefallen, auf dem sich neben RAS noch 5 weitere Bands aus der Anarchoszene tummeln. AKERS beginnen den Reigen mit einem Skapunk-Song, der immer wieder schnelle Punkparts ausbricht, ansonsten etwas holperig, aber mitreissend klingt. Die zwei anderen Songs von AKERS sind schnelle Hardcore Stücke mit melodischer Gitarre und rotziger Energie. Jugendlicher Wahnsinn in Reinform! AUTODEFENSA mit ihren 3 Songs schlagen in eine ähnliche Kerbe: chaotischer Punk mit geiler Stimme, wildem Chor und simplem Beat! Ebenfalls einfach und geil! BLACK CROSS trumpfen mit male/female Gesang auf, der leider bei den Aufnahmen etwas zu sehr im Vordergrund steht. Auch hier gibt es direkten und dreckigen Punk... allerdings etwas stumpfer und langweiliger als bei den beiden vorausgegangenen Bands. Bei CONTIMINACION AKUSTICA geht es dann wieder aufwärts, denn hier stimmt nicht nur der Sound, sondern auch die geil angepisste und räudige Stimme des Sängers. Völlig kultig auch die miesen und trashigen Gitarrensoli und der weibliche Chorus. SIN NACION schließlich sind mindestens so geil, wie die anderen Bands auch. Einfach Punk mit deutlicher Sprache und dem Herz am rechten Fleck! Und wieder mit weiblichem Gesang... super! Alle Bands erinnern ganz stark an spanischen Punk der 80er Jahre oder an die ersten Gehversuche der kolumbianischen Punkszene. Rau, direkt und ungebremst! Verdammt noch mal, wenn jemand das Recht hat solchen Punk zu spielen, dann ja wohl Bands, aus einem sogenannten „dritte-Welt-Land“. Hier noch ein kleines Zitat, welches unterstreicht, dass auch textlich alles in bester Ordnung ist:
Freiheit wird mit Revolutionen erkaempft, nicht mit Gewalt,  lass dich in deinem Kampf nicht von Hass und Wut treiben, sondern von deiner Liebe zur Freiheit!“Da kann ich ja nur noch meinen Hut ziehen!
Leider hatten wir keine Gelegenheit uns von den Qualitäten der Bands bei einem Konzertchen zu überzeugen. Statt dessen zog es uns bei unserem nächsten Treffen wieder in die Hippie-Bar, wo wir zudem auf ein paar reisende Punks aus Chile trafen. Wir beschlossen sofort, dass wir auch mal eine andere Kneipe auschecken wollten. Gesagt, getan! Josh führte uns in eine Lokalität in der das Bier relativ günstig sei. Das waren allerdings schon alle Vorzüge, welche die „Kneipe“ vorzuweisen hatte. Was asoziiert ihr mit den Begriffen: Bahnhofshalle, Neonlicht, defekte Toiletten und 25 total besoffene Vollassis? Ja, genau, hört sich schwer nach Punkerausflug an. Allerdings waren die hackedichten Bolivianer keineswegs coole Punks, sondern ekelhaft besoffene, prollige und abstoßende Eierköpfe, die den Aufenthalt in dieser ungemütlichen Saufanstalt auch nicht lustiger gestalteten. Hier ging es gar nicht darum gemütlich zusammen zu sitzen, ein paar Gespräche zu führen oder Menschen kennen zu lernen, sondern einzig und allein darum, möglichst schnell und möglichst billig so sturzbesoffen wie nur irgendwie möglich zu sein. Ein wirklich trauriges Schauspiel, bei dem einmal mehr deutlich wurde, wie Alkohol genutzt wir, um Kummer, Minderwertigkeitsgefühle und Frustration hinweg zu spülen. Da wollte bei uns absolut keine Laune aufkommen und so verabschiedeten wir uns nicht nur von den Punks, sondern auch von La Paz.
Am nächsten Morgen ging es erstmal weiter nach Sorata eine etwas tiefer gelegene Stadt und durch das angenehme Microklima genau der richtige Ort, um sich von der einsetzenden Erkältung zu erholen, ein wenig zu wandern und die Natur zu genießen. Allerdings hatten wir uns mit Sascha und Vonny aus Giessen am Titicaca-See verabredet und brachen recht zügig auf, um unseren Weg nach Copacabana zu finden. Copacabana, ist den meisten nur vom gleichnamigen Strand in Brasilien bekannt. Dieser ist nach diesem kleinen, touristisches Zentrum am tiefblauen Titicaca-See benannt. Ganz einfach, weil dieses Städtchen schon zu Inka-Zeiten ein Pilgerort war und noch immer Menschen von nah und fern anzieht, die hier einerseits den tollen See beglotzen, oder aber auch ihr Seelenheil finden wollen. Dementsprechend ist Copacabana auf Touristen eingestellt! Allerdings fiel es uns mit unserer veganen Extrawurst einmal mehr schwer ein Hostel zu finden, in dem wir kochen konnten. Nachdem wir in La Paz mit einer voll funktionsfähigen Küche und diversen Restaurant-Optionen (allgemein eher in Sektenhand und weniger an Tierrechten interessiert) verwöhnt worden waren, mussten wir hier wieder darben und uns von Avocado und Brot ernähren. Wahrlich nicht das Gelbe vom Ei, wenn ihr mir diesen miesen Spruch erlaubt. Egal, wir waren froh auf Sascha und Vonny zu treffen, die zu diesem Zeitpunkt auch schon diverse Monate durch Lateinamerika getingelt waren, und endlich vegane Leidensgenossen zu treffen. Auf unsere Wanderung über die Isla del Sol unterhielten wir uns deswegen auch stundenlang darüber, welche Fleisch- und Wurstspezialitäten wir in unserem Leben vor dem Vegetarismus/Veganismus am liebsten verdrückt haben. Wir hatten also ziemlich viel Spaß miteinander und beschlossen deswegen auch noch gemeinsam ein paar Tage in La Paz zu verbringen. Sascha als findiger Fußball-Fan hatte sich auch schon informiert, wann im höchst gelegenen Stadion der Welt die nächste Partie anstehen würde. Und so pilgerten wir gleich Sonntags zum Lokalderbie zwischen „The Strongest“ und „Bolivar“. Für die Eintrittskarten wurden uns auf dem Schwarzmarkt ganze 1,70 Euro abgeknöpft. Da hätte man ja auch mit einem laschen Kick vorlieb genommen. Stattdessen bekamen wir eine Partie mit haufenweise Fouls, einer Roten Karte, einem Elfmeter und satten 4 Toren zu sehen... und natürlich eine Höllenstimmung im Stadion: Böller, Feuer, Rambazamba und eine Einsatztruppe der Polizei, die sich auf den Schutz des Schiedsrichters konzentrierte. Ganz schön geil, auch wenn man vor lauter Eisverkäufern kaum das Spielfeld zu Gesicht bekam und Prolltum (inkl. Rassismus) auch in bolivianischen Stadien zuhause ist. Nächster Ausflug war dann eine Down-Hill-Tour auf der angeblich „most dangerous road of the world“. Ein Tourihighlight schlechthin, aber eben auch eine wirklich geniale Möglichkeit von La Paz eine wirklich bezaubernde Landschaft zu erkunden. Auf dem Weg vom 4800 Meter hohen Startpunkt bis in die auf 1800 Meter gelegene Stadt Corroico, passiert man nämlich nicht nur schneebedeckte Andenlandschaft sondern auch die faszinierenden, von Dschungelvegetation überwachsenen Schluchten der Yungas. Leider waren wir mal wieder mit einer Idiotengruppe unterwegs, die ihresgleichen sucht. Vor allem die vollberuflichen Ultraprolls aus der Schweiz waren mit ihrer DJ Bobo-Idiotie kaum zu überbieten, aber auch der Rest der Affenbande ließ kaum eine Gelegenheit aus, um uns auf den Wecker zu fallen. Statt die geniale Landschaft zu genießen donnerte die Gruppe im Schweinsgalopp den Abhang runter und ließ sich dabei auch noch von den coolen Checker-Guides anfeuern. Die gefährlichste Straße der Welt ist tatsächlich nicht ganz ohne, auch wenn es mit einem Fahrrad wesentlich undramatischer erscheint als in einem Auto. Die Straße ist vielmehr eine Schotterpiste, die nicht gerade breit, in irrsinnigen Windungen entlang klaffender Schluchten schlängelt. Die zahlreichen Kreuze am Wegesrand könnten schon fast als Geländer durchgehen, so viele Karren samt Besatzung sind hier schon in die Tiefe gerauscht. Deswegen hatte die Regierung auch irgendwann Erbarmen und ließ eine Umgehungsstraße bauen, die seit wenigen Jahren in Betrieb ist und welche die alte Todespiste nun fast ausschließlich für den touristischen Verkehr frei hält. Ein cleverer Schritt, denn mittlerweile donnern hier täglich Touristengruppen herab, die natürlich allesamt brav Eintrittsgebühren berappen. Aber wie gesagt, der Scheiß rockt und die Landschaft ist wirklich saugeil! Dass die Landschaft „saugeil“ ist, lässt sich in Bolivien so gut wie an jeder Ecke sagen. Ein ganz besonderes Highlight stellt dennoch die Salzwüste bei Uyuni dar. Vonny und Sascha konnten wir auch davon überzeugen, diese Fahrt in den Süden des Landes anzutreten. Mit dem Zug ging es von Oruro los hinein in die unwirkliche Landschaft des Altiplano. Mehr als unwirklich war es dann auch um 23 Uhr nachts bei eisiger Kälte aus dem Zug geworfen zu werden, nur um festzustellen, dass in Uyuni schon seit mehreren Tagen Stromausfall herrschte. Eine ziemlich surreale Situation in der jeder um sein Gepäck bangte und sich Sorgen machte überhaupt noch ein Hostelzimmer zu finden. Wir hatten natürlich clever vorgebaut und uns Zimmer reserviert. Allerdings war es in der Dunkelheit alles andere als einfach das Hostel zu finden, welches außerdem allen mürrischen Passanten unbekannt war. Mürrisch waren dann auch die Hostelbesitzer, denen ich – trotz Stromausfall und stockdunkler Finsternis – eine halbe Kerze pro Zimmer fast entreißen musste. Dass es selbstverständlich auch kein warmes Wasser gab, nahm ich kommentarlos auf und verkroch mich zügig in unserem Kabuff. Der nächste Tag gestaltete sich freundlicher, da es uns gelang noch für den gleichen Tag eine 3-tägige Tour, durch die anlegende Landschaft zu buchen. Diesmal konnte uns auch keine miese Tourigruppe schrecken, da wir mit 4 Personen sowieso in der Mehrheit waren. Die vegane Ernährungsweise sorgte trotzdem für Unverstaendnis und Hilflosigkeit bei unserem etwa 60-jährigen Guide; einem schweigsamen Haudegen, der sich als Fahrer, aber nicht als Fremdenführer verstand. Uns war's egal, denn schließlich war die Landschaft, die wir in den nächsten Tagen zu Gesicht bekamen wirklich unfassbar. Ein absolutes Highlight natürlich die endlos erscheinende, grell weiße Fläche der Salzwüste, die sich wie eine riesige Schneefläche bis zum Horizont erstreckt. Der absolute Wahnsinn!! Der absolute Wahnsinn waren allerdings auch die Temperaturen mit denen wir uns nachts herumschlagen mussten - ich fühlte mich teilweise wie Reinhold Messner auf der Jagd nach dem Yeti. Die Füße waren taub und ich brachte nur noch gestammelte Worte hervor. Verdammt! Aber in der nächsten Nacht, die wir auf einer noch höheren Lage, in einem ziemlich mies isolierten Verschlag verbrachten, sollte das noch viel schlimmer werden... die Temperatur sank auf erschreckende -17 Grad. Ächz! Aber dafür entlohnte die Aussicht auf die Laguna Colorada, einen See, der aufgrund von Mineralien und besonderen Algen in einem bizarre und wirklich unglaublichen Farbspektrum glitzert. Schon aus der Ferne konnten wir kaum glauben, dass der See tief violett mit einem Hang zu rotbraun sich zwischen den grauen Bergen ausstreckte – und dann stand da ja auch noch eine Kolonie an Flamingos in den Fluten. Mir fehlen die Superlative! Der 3-Tages-Trip war wirklich eine einzige Reizüberflutung: unglaubliche Landschaften, nachts lähmende Kälte, tagsüber knallende Sonne, dazu die dünne Höhenluft (teilweise bewegten wir uns auf 5000 Metern), wenig Schlaf, schreckliche Pisten und haufenweise Touristen, die sich das ganze Programm eben auch reinziehen wollten. Wir kamen dementsprechend geschlaucht und überwältigt in Uyuni an... und leisteten uns nicht nur ein Hotel mit warmer Dusche, sondern auch noch einen Ausflug in ein teureres, leider aber trotzdem schlechtes, Restaurant. Das war so gut wie unsere letzte Amtshandlung in Bolivien, denn am nächsten Tag traten wir – nach der Verabschiedung von Vonny und Sascha - unsere fast 40-stündige Rückreise nach Buenos Aires an, die uns noch einmal über Villzón, dann aber schnurstracks in die Hauptstadt Argentiniens führte.
Nach zwei Monaten in Bolivien fällt es mir durchaus schwer ein Fazit zu ziehen, so vielfältig und unterschiedlich waren doch all diese Eindrücke. Auf der einen Seite die wundervolle Landschaft und die bezaubernde Tierwelt, auf der anderen die durchgerockten Steißbeine und die entsetzlichen Busfahrten, die Kilos an Staub, die wir fressen mussten und die Probleme, die wir aufgrund unserer tierfreundlichen Ernährung hatten. Es ist ja nicht so, dass ich es nicht gewöhnt sei anstrengend und unter ordentlichen Entbehrungen zu reisen, doch oft musste ich mir eingestehen: „Bolivien ist eine Herausforderung!“ Und das ist nicht nur in Hinblick auf die Übernachtungsmöglichkeiten, das Essen oder die Transporte zu sehen. So schön die wunderbaren Märkte, die farbenfrohe Kleidung der indigenen Bevölkerung und die lebendigen Traditionen auch waren, so sehr störte uns immer wieder die ignorante und die abweisende Haltung vieler Bolivianer, die uns das Gefühl vermittelten nicht erwünscht zu sein, oder eben gerade nur noch gut genug dafür zu sein, um ein paar Dollar abzutreten. Natürlich blickt Bolivien auf eine blutige und traurige Geschichte zurück in welcher die Fremden immer wieder die Bedrohung waren oder sich an den Reichtümern des Landes gütlich taten. Dass nicht nur die Skepsis gegenüber Ausländern, sondern auch ein besonderes Geschichtsbild in der Sichtweise der Bolivianer tatsächlich präsent ist, wurde uns immer wieder deutlich, wenn über das Nachbarland Chile gesprochen wurde. Zahlreiche Bolivianer berichteten uns von Zorn und Hass erfüllt, dass das mächtige Nachbarland Bolivien den Zugang zum Meer geraubt habe. Dass der so genannte Salpeterkrieg, auf den sich die Gesprächspartner bezogen , bereits zwischen den Jahren 1879 und 1883 ausgefochten wurde, spielte in den wütenden Kommentaren überhaupt keine Rolle mehr, obwohl es doch recht fragwürdig erscheint, wenn man sich nur einmal vorstellt man würde alle von den Kriegen der letzten 100 Jahre verwischten Grenzen wieder an ihrem  „ursprünglichen“ Verlauf ziehen. An diesem Beispiel wird einigermaßen deutlich, wie mit Erinnerung und Vergangenheit umgegangen wird und was daran problematisch ist. Einerseits ist dieses „Nicht-Vergessen“ bzw. „Bewahren“ durchaus positiv zu bewerten, ist es doch die Möglichkeit zur Erhaltung von Traditionen und bestimmten Werten, die in der sich ausdehnenden kapitalistischen Lebensweise dem Untergang geweiht zu sein scheinen. Andererseits verstellt es wohl aber auch den Blick auf die sich rasend schnell ändernde Welt und die neuen Herausforderungen, die sich aus diesem permanenten Wandel ergeben. Nicht nur die Bolivianer werden mit diesem Spagat ihre Probleme haben, vor allem wir „kosmopolitischen Touristen“, die wir dann auch noch in einer globalisierten Szene zuhause sind, tun uns besonders schwer damit auf tatsächlich „konservative“ bzw. „konservierende“ Personen zu treffen, die eben nicht dem schnellen Wandel hinterher hecheln, und sich nicht an die Anforderungen und Ansprüche eines globalen Tourismus anzupassen versuchen. Wir wollen ja einerseits das so genannte „ursprüngliche“ sehen und erleben, tun uns dann aber schwer, wenn wir beim Zusammenprall der Kultur nur schwer mit den auftretenden Problemen nur sehr schwer umgehen können. Trotz dieser Einsicht muss ich sagen, dass mir der Austausch, gerade auch über solche Gedanken und Themen in Bolivien eindeutig zu kurz kam und mir die abweisende Haltung großer Teile der Bevölkerung daher vielmehr instinktiv, als reflektiert und begründet erschien.
Natürlich können jetzt all die Touristen auf den Plan treten, die völlig andere Erfahrungen gesammelt haben und von der Herzlichkeit der Bolivianer schwärmen... deswegen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass dies ein völlig subjektiver Artikel ist, der lediglich meine ganz persönlichen Erfahrungen und Ansichten wiederspiegelt. Punkt aus!

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