ENEMIGOS DE
LA KLASE (Paraguay)
Diskutiert
ihr politische Themen innerhalb der Band oder habt ihr alle die
ungefähr gleiche Einstellung? Wenn dem so ist – wie
würdest du die politische Attitüde der Band
beschreiben?
Wir
bezeichnen
die Einstellung von ENEMIGOS DE LA KLASE als revolutionär, da
wir
nicht in dieser Protest-Rhetorik verbleiben, wie es viele Punkbands
tun. Die NO FUTURE Attitüde interessiert uns nicht die Bohne
– selbst wenn einige unserer Songs etwas pessimistisch
klingen.
Aber dieser Pessimismus transportiert ebenfalls Ideen,
Vorschläge
und Konzepte unserer ideelen Gesellschaftsform, mit der wir uns
identifizieren und die wir dem Volk näher bringen wollen.
So
weit ich es verstanden habe seid ihr mehr oder weniger sozialistisch
eingestellt. Bitte sagt mir, warum ihr denkt, dass der Sozialismus die
Probleme der Welt lösen kann. Was denkt ihr über
Anarchismus?
Ja,
wir sehen
uns selbst als revolutionäre Sozialisten und wir denken, dass
der
Sozialismus das perfekte Gesellschaftsmodell ist. Ich weiss, dass das
in Ländern, wie Deutschland, die selbst Perioden
kommunistischer
und totalitärer Regime hinter sich haben und in denen der
sowijetisch/stalinistische Sozialismus Schaden angerichtet hat, seltsam
klingt. Ich verstehe, dass man damit nicht viel anfangen kann, wenn man
die Resultate in Osteuropa sieht. Bereits Lenin hat vorausgesagt, dass,
wenn sich die sozialistischen Regierungen nicht regelmässig
erneuern würde, sie irgendwann zusammen brechen wird. Doch nur
weil dies geschehen ist bedeutet das nicht, dass gleich das ganze
System falsch ist oder der Marxismus keine Bedeutung mehr hat. Nur weil
diese Überzeugung den imperialistischen Ländern dient
und die
Ausbeutung der dritten Welt mit dem Kapitalismus einher geht, gilt der
Sozialismus als gescheitert. Wir glauben fest daran, dass der
Kapitalismus sich vom Hunger der Völker ernährt, denn
der
Wohlstand, der produziert wird, reicht aus, um alle Bewohner der Erde
zu ernähren. Egoismus ist das fundamentale Element, weshalb
diese
Ungerechtigkeit und das Unterdrückungssystem des Kapitalismus
weiter existieren kann. Es liegt auf der Hand, dass ich die
marxistischen Ideen nicht in diesem Interview wiedergeben kann. Zum
einen reicht der Platz nicht aus, zum anderen glaube ich nicht, dass
ich ein Profi bin, wenn es darum geht, meine politischen Gedanken zu
erklären.
Zum
Thema
Anarchismus. Man kann zusammen fassen, dass Anarchismus eine
gesteigerte Form des Sozialismus ist, in der die Menschen ein soziales
und politisches Level erreicht haben, welches keinen Staat und keine
Autorität benötigt, die ihnen die Koexistenz diktiert
oder
ihnen Richtlinien gibt. Es ist sehr schwierig diesen Status zu
erreichen, da die Gesellschaft des Kapitalismus Menschen nur zum Willen
des persönlichen Eigennutzens in einer Konsumgesellschaft
erzieht.
Dieses vage Konzept möchte ich deutlich von Anarchismus
unterscheiden, der bei vielen Punkbands propagiert wird und den auch
schon die Sex Pistols proklamierten. Meiner Meinung nach bedeutet
Anarchismus für diese Leute nur Chaos und Unordnung. Solche
Ideen
interessieren uns einfach überhaupt nicht, denn sie
führen zu
nichts.
Ich
denke ihr habt von den Protesten in Genua gehört und gesehen.
Was
ist eure Meinung zu solchen Protesten? Wäre es nicht
effektiver
den Kapitalismus in seinem täglichen Bestehen zu sabotieren?
Ich
glaube, dass
die Demonstrationen gegen die Globalisation sehr gut sind. Es ist
wichtig in den Ländern von denen die Unterdrückung
ausgeht zu
zeigen, dass man mit dem Neoliberalismus und dem Kapitalismus nicht
einverstanden ist – dass die halbe Welt hungert, weil dieses
System besteht. Man kann es drehen und wenden wie man will: der
Kapitalismus ist furchtbar für die dritte Welt. Vielleicht
funktioniert er in einigen Staaten der ersten Welt, doch für
den
Rest der Menschheit bedeutete dies nur ein Anwachsen des Leidens und
der Armut unter jahrzehntelanger imperialistische Herrschaft. Ich
möchte betonen, dass dies kein rhetorisches, linkes Geplapper
ist.
Das ist die Realität wie wir sie in Latein America zu
spüren
bekommen – Tag für Tag.
Ich
denke die
effizienteste Möglichkeit den Kapitalismus zu sabotieren ist
die
Bildung neuer Massenbewegungen, die Bevölkerung mit
einbeziehen
und dazu bringen ihre Stimme bei der nächsten Wahl nicht den
ewig
gleichen Dieben und Lakaien der Weltbank zu geben. Nur eine
Volksbewegung kann ein Volk retten.
Ihr
kommt aus einem sogenannten Dritte-Welt-Land. Glaubt ihr, dass
anti-kapitalistische und anti-imperialistische Gedanken in solchen
Ländern weiter verbreitet sind, als in den reichen Nationen?
Es
ist eben so,
dass man in einem dritte Welt Land die Auswirkungen und negativen
Seiten des Kapitalismus und Imperialismus deutlich sieht. Vielleicht
ist in Deutschland die Realität ganz anders und man sieht
nicht in
jeder Stadt, wie die Leute hungern. Die soziale Ungerechtigkeit ist
alltäglich und offensichtlich und ich denke es sollte unser
Ziel
sein, die Leute darauf hin zu weisen, wo die Ursache für
diesen
Zustand zu finden ist.
Es
gab in der Vergangenheit zahlreiche Diskussionen über die
Frage,
ob man Gewalt als Form des Protestes wählen soll, oder nicht.
Wenn
man auf eurer Homepage euer Logo sieht, dann erübrigt sich
eigentlich jede weitere Frage. Aber warum denkt ihr, ist Gewalt
nötig, welches sind eure Argumente für die Anwendung
von
Gewalt?
Wie
du bemerkt
haben wirst taucht in unserem Logo sowohl eine Waffe als auch eine
Gitarre auf. Gewalt ist nicht die einzige Form des Widerstandes. Auch
Musik, Ideen und Widerstandsbewegungen jedlicher Art gehören
dazu.
Doch in manchen Abschnitten der Menschheitsgeschichte ist Gewalt
einfach nötig. Die echten Revolutionen haben nicht ohne Gewalt
stattfinden können – nicht einmal die
französische
Revolution. Ohne den Tod von tausenden von Soldaten wäre auch
das
Nazi Regime nie beseitig worden. Es ist so: Gewalt ist nunmal ein
omnipräsentes Element in der Entwicklung der golbalen
Geschichte
– seinen es Kriege oder Revolutionen. Wie Hegel einmal sagte:
Die
grössten Chancen für die Geschichte und die
Menschheit wurden
durch Kriege und Revolutionen errungen. Oder wie will man sonst einer
Regierung vermitteln, dass ihr System ungerecht ist?
Friedlich
protestieren? Das gilt auch für die liberale Demokratie. Man
wechselt ja nur die Regierung – das System ansich bleibt
bestehen
und zerstört Tag für Tag die Bauern und Arbeiter.
Eine
Demokratie in der es Hunger gibt ist für uns einfach nur
lächerlich!
In
einigen eurer Lieder singt ihr eine Indio Sprache. Was für
eine
Sprache ist das genau? Wird diese Sprache in Paraguay noch wirklich
gesprochen? Sprecht ihr alle diese Sprache? Von was handeln diese Songs?
Ja,
auf unserem
zweiten Album gibt es zwei Songs in GUARANÍ. Das ist die
zweite
Sprache, die neben dem Spanischen in Paraguay gesprochen wird. Unser
Land ist die einzige Latein Amerikanische Nation, die eine indigene
Sprache als offizielle Sprache zugelassen hat. Das war wahrscheinlich
das einzige, was die spanischen Eroberer nicht auslöschen
konnten.
80 Prozent der Bevölkerung Paraguays benutzt diese Sprache,
selbst
wenn sie heutzutage sehr mit dem Spanischen gemischt wird. Vor allem in
den grossen Städten geht diese Sprache verloren und das
Spanisch
wird zunehmend die gebräuchliste Sprache. Die Lieder in
GUARANÍ heissen CHE AÑÓ JEY'MA (Ich
bin wieder
allein) und TUGUY IS YVY (Blut und Land).
Im
Gegensatz zu anderen Ländern aus Latein Amerika ist die Punk
Szene Paraguays sehr unbekannt. Warum ist das so?
Tatsächlich
ist nicht nur die Punk Szene Paraguays, sondern fast die ganze
nationale Kultur, ein Enigma für den grössten Teil
der
restlichen Welt. Das liegt meiner Meinung nach an der Isolation durch
die 35 jährige Militärdiktatur, die freie
Meinungsäusserung im ganzen Land beschränkt hat.
Daher hat
sich auch die Rockmusik nie richtig entwickeln können
– und
eine Szene wie in anderen Ländern gibt es daher erst recht
nicht.
Vielleicht
kannst du uns einen kleinen Überblick über die
Geschichte und die Zukunft des Punkrocks in Paraguay geben.
Soweit
ich weiss
war die erste Punk Band Paraguays die Gruppe KAOS (1990) die allerdings
nicht lange existierte. Dann gab es RABIA CALLEJERA (1991) die auch ein
Demotape mit drei Songs aufgenommen haben. Allerdings ist es sogut wie
unmöglich dieses Tape zu bekommen. Weiter ging es mit
ENEMIGOS,
EVERGLADE (Punkrock)), 200 MUERTOS (Hardcore – sie haben ein
Demo
mit dem Titel Progrom) und CAUTIVOS DEL SISTEMA (Hardcore). Bald darauf
gab es dann die Bands ANTÍTESIS (sie haben eine CD
veröffentlicht), DESTRUCCIÓN SOCIAL,
BATALLÓN 40 und
BAZOFIA. Es scheint noch ein paar andere Bands zu geben, doch ich habe
keine Informationen über sie.
Was
die Zukunft
der Szene angeht, so kann ich kaum etwas sagen, denn ehrlich gesagt
weiss ich nichtmal genau, ob es eine Zukunft geben wird. Eigentlich
hatten wir mal geplant einen Sampler mit Bands aus Paraguay zu
veröffentlichen... doch konkrete Pläne gibt es noch
nicht.
In
Peru habe ich erlebt, das die Punkszene geteilt war in Leute von
reicheren und Leute aus ärmeren Gegenden. Wie ist das in
Paraguay?
Gibt es dort auch solche Trennungen?
Nein,
in
Paraguay gibt es so etwas nicht. Die Punk Szene ist nicht gross oder
verbreitet und hat nie die Grenze ein Sub-Stils des Rocks zu sein
überschritten. Daher tritt diese Trennung bei uns nicht auf,
selbst wenn es hier Punkbands gibt, deren Mitglieder aus der
Mittelklasse kommen – diese Unterschiede werden hier einfach
nicht betont. Ich denke, wenn Punkrock in Paraguay massiver auftreten
wird, dann werden solche sozialen Unterschiede eine Rolle spielen. Aber
auch ideologische und andersartige Trennungen wird es geben. Doch
bisher verbindet uns einfach die Liebe zu dieser Musik.
Ich
habe auch gesehen, dass die Szene in Anarchopunks und Drunkpunks
geteilt ist? Wie ist es in Paraguay? Und was hälst du davon?
Wie
gesagt,
solche Trennung gibt es bei uns nicht. Ich denke solche Abgrenzungen
gibt es eher auf die ganze Musik bezogen: Musik zum nachdenken und
Musik zum feiern.
Ihr
habt eure CDs selbst herausgebracht. Gibt es keine Labels in Paraguay,
die euch unterstützen würden?
Es
gibt keine
Aufnahmestudios, welche irgendwie auf Punk spezialisiert ist
–
nur für Rock im Allgemeinen. Unsere erste CD haben wir im IODI
Studio aufgenommen, die zweite im LIMBO.
Ihr
habt im Jahr 2000 mit den TOTEN HOSEN zusammen gespielt. Wusstet ihr,
dass sie in Deutschland richtige Rockstars sind? Wie hat sich die Band
verhalten? Hatte ihr irgendwie Kontakt zu ihnen?
Wir
wussten
schon ungefähr, dass die Band in Deutschland einen Rockstars
Status hat, selbst wenn wir nur spärliche Informationen
über
Rockmusik erhalten die nicht Englisch oder Amerikanisch ist. Das
Konzert mit den TOTEN HOSEN war für uns keine besonders tolle
Angelegenheit, da wir von den Leuten, die das Konzert organisiert
hatten, betrogen wurden. Die Leute von FM Rock&Pop, waren
diejenigen die uns und ANTITHESIS als Support für die TOTEN
HOSEN
einluden. Als wir an dem Abend am Veranstaltungsort ankamen sahen wir
die Türme von Verstärkern, Boxen, Equipment und
Instrumente
der Deutschen. Wir dachten natürlich, dass wir über
diese
Anlage spielen werden, doch knappe zwei Stunden vor dem Konzert sagte
man uns dann, dass wir die MARSHALLS nicht benutzen dürften.
Deshalb mussten wir unsere klapprigen, alten Fender Verstärker
holen und einen kurzen unerwarteten Soundcheck machen. Wie zu erwarten
war der Sound der einheimischen Bands schrecklich. Den Mischer der
HOSEN interessierte es nicht die Bohne, wie unsere Bands auf der
Bühne klangen. Auf alle Fälle war unser Konzert
entsetzlich
und machte einen mieserablen Eindruck auf das Publikum. Alles klang
verstimmt und verquer und auf der Bühne hörten wir
überhaupt nicht, was der andere gerade spielte. Es war ein
Scheisskonzert. Selbstverständlich war der Sound 100prozentig,
als
die TOTEN HOSEN auf die Bühne kamen. Und wir hatten nicht mal
10%
der Klangqualität oder der Energie davon. Wir wissen nicht
genau,
ob das nun der Fehler der Organisation oder der HOSEN war... was wir
wissen ist die Tatsache, dass wir in der Zeitung total zerrissen wurden
– was mich ziemlich sauer machte. Was den Kontakt mit der
Band
betrifft – ich hatte keinen Kontakt zu ihnen, doch meine
Bandkollegen meinten, dass sie nette und angenehme Leute waren.
Was
sind die Zukunftspläne mit eurer Band?
Zunächst
mal wollen wir endlich alles Material für unsere zweite CD
zusammenstellen. Dann wollen wir uns natürlich
überall
präsentieren, wo man uns noch nicht kennt. Vor allem in
anderen
Städten in Paraguay aber auch in Peru oder Brasilien. Ich
würde auch gerne bei den Konzerten von ENEMIGOS DE LA KLASE
mehr
politische und soziale Themen ansprechen und damit zu verdeutlichen,
dass es sich nicht einfach nur um eine Punkrock Show handelt. Ich
fände es auch gut, wenn man Politiker zu Konzerten
einläd,
oder Festivals mit Widerstandsgruppen veranstaltet.
Schlussworte?
Ich
wünsche
mir, dass die Europäischen Punkrock Bands nicht dabei bleiben
abstrakte Ideen und seltsame Texte zu schreiben. Ich finde, dass
Punkrock geboren wurde um gegen diesen Style und diese Perfektion in
der Rockszene anzutreten. Wenn die Bands die kämpferische
Texte
schreiben weitermachen, dann wird sich irgendwann etwas ändern.