LA MISERIA DE TU ROSTRO (Chile) 

Raul, du hast früher bei der Band SIN APOYO gespielt. Warum haben sie sich aufgelöst und wann wurde LA MISERIA DE TU ROSTRO gegründet?

SIN APOYO haben sich aufgelöst, weil es Probleme im Funktionieren der Band gab. Einige von uns fühlten sich nicht wohl dabei, wie sich die Dinge entwickelten. LA MISERIA DE TU ROSTRO wurde dann nicht von mir gegründet, sondern von Alejandro, dem ehemaligen Schlagzeuger von SIN APOYO. Das war im Jahr 2004.

Erklär mir doch bitte mal den Namen der Band (Das Elend deines Gesichts)...

Eigentlich gibt es da nicht so viel zu erklären. Er reflektiert nur ein Gefühl, welches wir in einer besonderen Epoche unserer Leben empfunden haben. Wir haben eine kleine Veränderung durchlaufen und angefangen bestimmte, dekadente Eigenschaften in unserem Umfeld und auch bei uns festgestellt. Und so wurde dann der Name geboren.

Heute schreibt Rolo die Texte, warum schreibst du nichts mehr?

Rolo ist auch Gründungsmitglied von LA MISERIA DE TU ROSTRO. Ich selbst kam erst ein Jahr später zu Band. Und da hatte sich bereits die Dynamik des Schreibens auf seine Person kanalisiert. Alejandro schreibt allerdings auch und manchmal helfe ich den zwei auch dabei. Es gibt auf keinen Fall eine striktes Reglement, wer bei uns die Texte schreibt. Wenn mir mal danach sein sollte, werde ich auch wieder etwas schreiben.

LA MISERIA DE TU ROSTRO hat eine ganz andere Message als SIN APOYO. Die Texte sind wesentlich depressiver. Gibt es diesen radikalen Wandel auch in deinem persönlichen Leben?

Ja natürlich. Wir sind nicht mehr die Idealisten von früher... glaube ich zumindest. Heute befinden wir uns in einem anderen Prozess unseres Lebens. Irgendwie gibt es heute auch Themen, die wir einfach in unserem privaten Leben belassen. So wie zum Beispiel idiologische Gedanken. Auch wenn ich sagen muss, dass politische Ideen natürlich bei LA MISERIA DE TU ROSTRO auch eine Rolle spielen. Allerdings haben sie nicht mehr Priorität innerhalb der Band. Wie du ganz richtig beschreibst, befindet sich die Band derzeit in einer wirklich depressiven Etappe, in der wir auf unsere Vergangenheit zurück blicken und uns über uns selbst und über die Dinge, die wir getan haben, lachen. Wir kritisieren einfach verschiedene Strukturen der Bewegung, in welcher wir uns früher bewegt haben. Heute wollen wir spielen, uns gut fühlen und Wut auskotzen, aber eben ohne uns einer bestimmten Ideologie zu unterwerfen.

Wie könnte man diesen Wandel beschreiben. Ist es auch ein Grund weshalb SIN APOYO auseinander brach?

Zum einen Teil glaube ich schon, dass es damit zu tun hat. Einige der Bandmitglieder waren erschöpft von der Art, wie wir gearbeitet haben und auch erschöpft von dem Umfeld in welchem wir uns bewegten. Alles entwickelte sich hin zu einer vorprogrammierten Show, die zudem von strengen Richtern abgeurteilt wurde. Uns ging es dabei nicht gut, denn permanent mussten wir uns rechtfertigen und Streitigkeiten beilegen. Eine Problematik, die wir zu einem Teil selbst generiert haben. Wir versuchten ein hohes Niveau von Radikalität zu halten und haben übersehen, dass sich die strengen politisch korrekten Reglungen sich stark gegen uns gewandt haben. Zum Glück ist diese Geschichte für uns vorbei.

Aber auch mit der neuen Band hattet ihr zunächst einige Probleme. Erklär mir doch bitte wo und wie es zu Problemen kam...

Wenn du dich auf die Probleme vom Typ Gerüchte und Witze beziehst, dann denke ich schon, dass es sie gibt. Darüber hinaus gibt es aber vor allem das Problem, dass die komplette Band SIN APOYO nun bei LA MISERIA DE TU ROSTRO spielt. Und es gibt immer noch eine kleine Gruppe von Leuten, die weiterhin auf christliche Art und Weise uns Glauben und Vereherung schenkt. Irgendetwas erwarten sie von uns, oder glauben wir seien ihnen etwas schuldig. Ausserdem kritisiert diese Gruppe auch die Handlungen von LA MISERIA DE TU ROSTRO. Wo wir auftreten, was wir aussagen, unser Umfeld. Aber im allgemeinen muss ich sagen, dass die Band uns viel mehr Freiheiten gibt und dass wir wesentlich produktiver sind. Wir funktionieren einfach besser und schaffen es auch uns den verschiedensten Umfeldern zu bewegen und gute Reaktionen in den verschiedensten “Szene” zu erhalten. Wenn man “Szene” überhaupt so definieren kann. Es ist wirklich nicht so, dass wir ein Problemfaktor sind. Du kennst uns gut und weisst, dass wir Probleme hatten. Aber eigentlich nur, weil wir Dinge gesagt haben, die der Allgemeinheit nicht gefallen. Oder eben aus persönlichen Gründen, die von irgendwelchen intreganten Leuten immer wieder auf die ganze Band übertragen werden.

Ein Freund aus Chile hat mir vor kurzem gesagt, dass er LA MISERIA DE TU ROSTRO für die beste chilenische Band hält. Bist du darauf stolz oder hast du manchmal das Gefühl, dass die Leute die Idee der Band nicht richtig verstehen?

Klar, man ist doch immer stolz, wenn jemand deine Arbeit als gut anerkennt. Mit LA MISERIA DE TU ROSTRO ist es uns wirklich schon oft so ergangen. Es motiviert uns natürlich weiter zu machen. Allerdings haben wir auch das Gefühl, dass es uns bislang noch nicht gelungen ist einen wirklich harten Schlag auszuführen. Ein Album, wie wir es noch nie realisiert haben und auf welches wir schon lange hin arbeiten. Es soll einfach ein großartiges Resultat sein. Die Aussagen der Band sind sehr direkt und ich glaube auch, dass man sie gut verstehen kann. Es ist nur so, dass dieser Prozess in jeder einzelnen Person unsere Arbeit anders aufnimmt und seine eigenen Schlüsse daraus zieht.

Die Texte von SIN APOYO waren immer sehr politisch und kritisch. Wer ist heute eure Thematik, wer sind heute die Feinde?

Ich glaube, dass die Feinde noch immer die gleichen sind und wir auch weiterhin dagegen angehen. Die Texte haben immer den selben Kurs und eine antikapitalistische Basis. Heute betonen wir eben andere Perspektiven... nicht mehr nicht weniger. Der Unterschied in den Kompositionen von LA MISERIA DE TU ROSTRO, dass wir anderen Themen mehr Platz einräumen. Es gibt eben keine strikte inhaltliche Linie. Am Tag an dem einer von uns ein Liebeslieb schreiben möchte, werden wir also auch das tun. Mit SIN APOYO waren wir wirklich sehr festgefahren und es hat wirklich Mühe bereitet uns davon etwas los zu machen.

Alle Bandmitglieder waren früher sehr mit dem Thema der politischen Gefangenen beschäftigt. Wie ist die Situation im Moment, was hat sich geändert?

Ja, früher haben wir uns wirklich sehr mit diesem Thema befasst. Die derzeitige Sitation ist die, dass während der Zeit in welcher wir mit der Solidaritätsarbeit beschäftigt waren viele der politischen Gefangenen entlassen wurden. Natürlich sind immer noch einige Personen eingesperrt. Ich glaube heute widmen wir uns nicht mehr in großem Stil diesem Kampf, weil sich heute einfach andere Leute um diese Thematik bemühen. Auch diese Gruppierungen haben sich einfach gewandelt. Wie eben alles andere auch. Aber trotzdem stehen wir natürlich der polizeilichen Verfolgung und vor allem der Einkerkerung oppositionell gegenüber. Aber wir haben etwas die Verbindung und den Zusammenhang verloren. Kann sein, dass wir in Zukunft wieder mehr in diese Richtung arbeiten... oder eben auch nicht.

Ihr spielt oft mit Straight Edge Bands. Du selbst bist ja auch SXE. Welchen Unterschied gibt es zwischen deiner Einstellung und der Straight Edge Szene?

Zwischen den Jahren 2000 und etwa 2002 war ich selbst in der SXE Bewegung engagiert. Ich kannte wirklich sehr viele Leute und bis heute habe ich wirklich bis heute wunderbare Beziehungen zu den Leuten. Später hat mich ganz einfach das Gesamtambiente gelangweilt. Ab einem gewissen Punkt habe ich mich dort einfach nicht mehr gut gefühlt. Alles war so Sektenhaft. Heutzutage habe ich noch immer eine drogenfreie Attitüde und ich bin auch Vegetarier. Aber das ist eine rein private Angelegenheit. Ich hatte einfach in meinem Leben noch nie das Bedürfnis Drogen zu konsumieren. Es ist einfach Teil meiner Persönlichkeit. Ich glaube hier ist die Wurzel des Unterschiedes. Hier in Chile werden viele Jugendliche nur SXE, weil es eben irgendwie Mode ist. Bislang habe ich vier Generationen von Straight Edgern kommen und gehen gesehen. Deshalb behaupte ich einfach, dass es wirklich so ist: ein Trend!

LA MISERIA DE TU ROSTRO geht sehr kritisch mit der Punkszene um. Wo siehst du die Probleme dieser Subkultur?

Das große Probleme der chilenischen Underground Punk Szene ist meinem Empfinden nach, dass sie schlecht eingestellt ist. Es gibt Probleme mit dem Verständnis von Punk und vor allem gibt es Probleme mit der Kommunikation. Vor allem mit der Kommunikation nach Außen. Die Szene befindet sich auf einem festen Niveau der Mittelmäßigkeit. Sowohl was die Produktionen von Bands, als auch deren Einstellung, Gedanken und Kommunikation angeht. Es ist ein absolutes Nest der Gerüchte und Spekulationen. Das soll nicht bedeuten, dass andere Szenen besser sind. Ich glaube alle leiden in gewisser Form an der selben Krankheit.

Immer mehr chilenischen Bands kommen nach Europa auf Tour. Warum glaubst du interessieren sich dieses Bands vor allem für Europa und versuchen nicht in den USA oder anderen Latein Amerikanischen Ländern auf Tour zu gehen?

Hier in Chile werden viele Bands aus Europa verehrt. Außerdem ist die Infrastruktur in Europa wohl viel besser. Deshalb gibt es einfach mehr Bands, die nach Europa wollen. Alles was wir über Europa erfahren hört sich für uns sehr interessant an. Der einfache Umstand, dass Konzerte in Europa vom Sound her besser sind, ist für viele Bands schon verlockend.Erinnere dich doch nur mal an meinen Verstärker. Das ist nur ein kleiner Indiz dafür, welche Unterschiede es zwischen Chile und Europa gibt. In Europa gibt es eben andere Umstände, die es erlauben relativ einfach auf Tour zu gehen. Hier in Chile oder Süd Amerika kostet das touren einen Haufen geld. Deswegen ist es sogut wie unmöglich. Es sei denn du bist eine wirklich bekannte Band. Und in die USA zieht es niemanden, weil es für Latinos sehr teuer und vor allem kompliziert ist einzureisen.

Ihr wollt auch am liebsten nach Europa kommen. Was erwartest du von Europa?

Ja, bevor wir sterben, wollen wir unbedingt nach Europa reisen. Mit SIN APOYO konnten wir es leider nicht realisieren. Aber wir glauben, dass wir mit LA MISERIA DE TU ROSTRO eher die Möglichkeit haben werden. Natürlich haben wir riesige Lust zu kommen. Aber allein aus finanziellen Gründen können wir einfach nicht. Wir würden gerne in Europa viele Leute kennen lernen, viele Verbindungen knüpfen und viel vom Leben in Europa lernen. Wir wollen gerne in Europa spielen und nach Chile zurück kehren, um neue Projekte zu verwirklichen.

Und wie siehst du die Zukunft der Band?

Im Moment wollen wir sobald als möglich ein neues Album veröffentlichen. Und wir wünschen uns wieder mit unserem geliebten Genossen Ingo zusammen arbeiten zu können, haha. Wir spielen derzeit sehr viele Konzerte und würden gerne genauso weitermachen.

Noch irgendwas zu sagen?

Viele Grüße an dich... du musst wissen, dass wir dich hier wirklich sehr schätzen. Wir hoffen dich bald wieder zu sehen, damit wir zusammen lachen, essen und trinken können (Saft und Alkohol!).